Argus #5
gesoffen, um endlich alles zu vergessen, womit sein Kopf seit 116 Stunden pausenlos beschäftigt war, aber er musste wach bleiben, Wache halten. Er war sich sicher, dass der Kerl etwas damit zu tun hatte. Da konnten die Bewährungsbeamten Vance Collier noch so viel Blödsinn auftischen, Talbot hätte die Nacht, in der Daria verschwunden war, ganz unschuldig mit seiner Hot Mami in Daddys riesiger Zwölf-Zimmer-Villa verbracht – Manny nahm ihnen das nicht ab. Zufälle gab es nicht. Zumindest nicht in seiner Branche.
Mittlerweile wurden Stimmen laut, die behaupteten, es könnte Cupido gewesen sein. Bantling könnte irgendwie herausgefunden haben, bei welcher Konferenz Daria sprechen und wo sie übernachten sollte, und hätte ihr in der Hotelhalle des Hilton aufgelauert. In einer Hotelbar voller Vollzugsbeamter, die sich dort trafen, um zu diskutieren, wie man Straftäter wie ihn dingfest machte, hätte er auf sie gewartet, vielleicht sogar verkleidet. Das passte durchaus zu Cupidos Vorgehensweise. Und die Kellnerin war sich auch nicht hundertprozentig sicher gewesen, dass der Mann, der Daria angesprochen hatte, derselbe war wie auf dem Foto aus Reid Smiths Führerschein. Allenfalls fünfundsiebzigprozentig.
Doch Manny glaubte nicht, dass Bantling in Darias Verschwinden verwickelt war. Zumindest nicht so, wie die Stimmen behaupteten. Das machte ihm am allermeisten Angst. Hässliche Phantasien von einem Snuff-Club füllten wieder seinen schmerzenden Kopf. Und wenn er die Augen schloss, sah er die Bilder des grauenvollen Mordes an Gabriella Vechio vor sich, nur dass es nicht die hübsche Steuerberaterin war, die sich da mit angsterfülltem Gesicht wand, die Arme an der Decke festgebunden. Sondern Daria. Das waren die Gedanken, die er mit dem Alkohol vertreiben wollte. Aber was, wenn das schlimmstmögliche Szenario tatsächlich eingetreten war? Was, wenn Daria von einem Mitglied dieses Snuff-Clubs entführt worden war? Was, wenn sie einem Scout in die Hände gefallen und irgendwo hingebracht worden war, wo die Monster, die Bantling als «Spieler» bezeichnet hatte, sie tagelang am Leben hielten und folterten? Was, wenn sie noch gar nicht tot war? Wenn sie mit jedem Tag dem Tod ein wenig näher kam? Wenn sie in diesem Moment grauenvoll zu Tode gequält wurde, während die kranken Typen, die sich «Zuschauer» nannten, ihr dabei zusahen und während Manny hier nutzlos im Auto hockte und sich mit Bier und Red Bull volllaufen ließ? Er kannte die Statistik. Mit jedem Tag, der verging, mit jeder Minute, die verstrich, nahmen die Chancen, Daria noch lebend zu finden, dramatisch ab. Wenn sie in die Gewalt des Snuff-Clubs geraten war, der Holly Skole und Gabriella Vechio und den anderen Toten diese Dinge angetan hatte, dann wusste Manny, sie würde sich wünschen, dass diese Tage, Stunden und Minuten noch viel schneller vergingen. Sie würde den Tod herbeisehnen. Ja, auch er hatte über eine Beteiligung von Bill Bantling nachgedacht. Und mehr als jeder andere, bis auf C. J. Townsend vielleicht, wollte er diesen Psychopathen endlich finden. Denn außer Talbot Lunders, der bisher kein Wort gesagt und jetzt auch keinen Grund mehr dazu hatte, war Bantling der Einzige, der sie zu den Mitgliedern des Snuff-Clubs führen konnte. Er kannte angeblich ihre Namen. Er war womöglich der Schlüssel dazu, Daria noch lebend zu finden. Aber auch von ihm fehlte jede Spur.
Manny schloss die Augen. Jetzt würde er Vance Collier auf Knien anflehen, diesen Deal einzugehen.
Er hatte mit Dom telefoniert, aber der hatte auch nichts Neues zu berichten. Er hatte mit C. J. gesprochen, doch Bantling hatte keinen Kontakt zu ihr aufgenommen. Es gab keinen Hinweis darauf, dass er in ihrer Gegend war, wo immer sie sich aufhielt. In ein paar Tagen sollte sie zurück nach Chicago kommen. Dominick verhandelte gerade mit der staatlichen Zeugenschutzstelle. Er hoffte, dass sie wieder zusammenfinden würden. Na, dann viel Glück , hatte Manny erwidert.
Was für eine Ironie! Der Vergewaltiger, der die Beziehung zwischen Dom und seiner Frau vergiftet hatte, sorgte jetzt womöglich dafür, dass sie wieder zusammenkamen. Eine Art Happy End. Manny war sich allerdings nicht sicher, wie glücklich dieses Ende wirklich sein würde, nachdem Bantling immer noch auf freiem Fuß war. Wie glücklich konnte man in einem Zeugenschutzprogramm werden?
Da öffnete sich plötzlich die Haustür. Unter den Augen seiner Mutter, die im Türrahmen lehnte, kam Talbot Lunders mit
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