Argus #5
mit dem Titel Justice Joe – Mit Joe vor Gericht moderierte. Doch das musste zehn Jahre her sein – bevor er den ersten Rockstar vertrat und seine Anwaltskarriere in Schwung kam. Inzwischen bevölkerten weitere Rockstars seinen Terminkalender, dazu Footballspieler und Basketballlegenden – sodass Justice Joe offensichtlich keine Zeit blieb, dem gemeinen Publikum vor der Mattscheibe um sechs am Nachmittag juristischen Beistand zu gewähren. Anscheinend hatten all die schicken Abendessen mit seinen Mandanten in den letzten zehn Jahren dafür gesorgt, dass er auf seinen bereits untersetzten Körperbau noch fünfzig Kilo draufgelegt hatte, was erklärte, warum Daria ihn nicht gleich wiedererkannt hatte. Und es war wohl auch einer seiner exzentrischen alternden Rockstar-Kumpel aus den Siebzigern, der ihn überzeugt hatte, sich die Haare wachsen zu lassen. Oder was davon noch übrig war. Die spiegelnde Platte, umkränzt von gelblich weiß gelockten Haaren, die ihm als Pferdeschwanz auf den Rücken fielen, dazu Hängebacken, die zu einem Bullmastiff gepasst hätten, machten aus Varlack zweifellos eine einschüchternde Figur, schon bevor er den Mund aufmachte, aus dem selbst zu seiner Fernsehblütezeit alles mit mindestens hundert Dezibel herauskam. Sie würde Manny Alvarez umbringen. Von allen Fällen ausgerechnet bei diesem …
«Euer Ehren, ich möchte Haftbefreiung beantragen», bellte Varlack. «Die Staatsanwaltschaft ist zwar nicht vorbereitet, aber wir sind es. Es wäre unfair, die Angelegenheit zu vertagen und Talbot in einer Zelle schmachten zu lassen, nur weil die Staatsanwaltschaft es nicht schafft, sich zu organisieren. Er ist ein aufrechter junger Mann, der sich nie etwas zuschulden kommen lassen hat. Seine Familie ist einflussreich und genießt größten Respekt in der Gemeinde, wie Sie wahrscheinlich wissen. Talbot Lunders selbst ist Geschäftsleiter des Südostsektors von Flower & Honey Bath Products. Er ist tief verwurzelt in der Stadt. Er ist kein Streuner, der Gerichtstermine sausenlässt. Außerdem stellt er in keiner Hinsicht eine Gefahr für die Öffentlichkeit dar. Wäre die Anklage so weit, würden Sie sofort sehen, dass der Fall gegen ihn ausschließlich auf Indizien beruht. Als Anwalt, der seit vierzig Jahren zahlreiche prominente Mandanten vertritt, muss ich zugeben, ich bin schockiert, dass Talbot überhaupt verhaftet werden konnte. Die Tatsache, dass er nach Miami gelockt und wie ein gewöhnlicher Strolch von der Straße eingelocht wurde, ohne dass man ihm die Möglichkeit gegeben hätte, sich freiwillig zu stellen, ist haarsträubend. Seine Verhaftung war reiner Aktionismus seitens der Polizei der City of Miami, um auf Teufel komm raus schnelle Erfolge zu zeigen. Talbot muss auf jeden Fall auf freien Fuß kommen, damit er sich gegen die sehr ernsten Vorwürfe verteidigen und den guten Namen seiner Familie wiederherstellen kann.»
Daria biss sich auf die Innenseite der Wange, bis es blutete, um nicht die Fluchtirade vom Stapel zu lassen, die ihr auf der Zunge lag. Die meisten Verteidiger waren gnädig und stimmten einer Vertagung zu, bevor sie sich darüber ausließen, dass die Staatsanwaltschaft unvorbereitet sei, oder sich in Stammtischpropaganda über den Missbrauch von Angeklagten ergingen. Und die meisten hielten sich zurück, was die Prahlerei mit wichtigen Mandanten anging. Vor allem, wenn es um irgendwelche Schickeria-Fritzen ging, von denen noch nie jemand gehört hatte. Was für ein Arschloch.
Leider wirkte Steyn beeindruckt. «Was schlagen Sie vor?»
«Die Familie Lunders ist bereit, als Kaution heute einhundertfünfzigtausend Dollar in bar zu hinterlegen. Falls es dem Gericht notwendig erscheint, erklärt sich Talbot außerdem bereit, eine elektronische Fußfessel zu tragen. Ich glaube, das ist mehr als ausreichend.»
Ein Angeklagter auf der Geschworenenbank johlte. «Der Kleine soll heim zu seiner Mama!»
«Ich muss zugeben, dass der Vorschlag vernünftig klingt», antwortete Steyn, den Zwischenruf ignorierend. «Staatsanwältin?»
«Euer Ehren, der Angeklagte steht wegen Mordes vor Gericht, nicht wegen eines Verkehrsdelikts», protestierte Daria entrüstet. «Der Fall geht morgen vor die Grand Jury, und Mr. Varlack weiß genau, dass es dort zur Anklageerhebung kommt, weswegen er unbedingt heute darüber sprechen und heute eine Kaution aushandeln will, denn wenn sein Mandant erst offiziell wegen Mordes angeklagt ist, wird es schwer werden, einen Richter zu finden, der
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