Argus #5
Vergangenheit und weideten sie aus. In Anbetracht dessen, was sie vor langer Zeit durchgemacht hatte und verdrängen musste, als sie gegen Bantling antrat, war Manny, genau wie der Rest der Taskforce, erleichtert, dass das Schwein weggesperrt wurde. C. J. war einer der Menschen, die Manny am allerliebsten mochte; sie war unprätentiös und fleißig, und sie konnte, wenn es sein musste, zur Furie werden. Und hätte sein Kumpel Dom nicht ein Auge auf sie geworfen, Manny hätte es vielleicht selbst bei ihr versucht. Stattdessen landete er bei C. J.s verrückter Sekretärin, die ihn ein paar Jahre seines Lebens kostete, eine unsägliche Stange Geld und beinahe einen weiteren Gang zum Altar.
Die Mühlen der Gerechtigkeit mahlten jedoch langsam. Vor allem, wenn es um die Todesstrafe ging. Zehn Jahre waren vergangen und der Fall immer noch nicht erledigt. Bill Bantling weilte weiter unter den Lebenden. Und nach dem derzeitigen Stand seiner Berufungen war ein Ende seines miesen kleinen Lebens nicht in Sicht.
Manny bestellte sich noch ein Corona und sah eine Weile zu, wie die Marlins unweigerlich die Führung verloren. Doch während sein Blick am Fernseher hing, hatte er die ganze Zeit die Warnung seines Onkels Ces im Ohr: Manchmal sehen wir nicht, was wir nicht sehen wollen. Als William Bantling ihm damals von dem Snuff-Club erzählt hatte, hatte er ihn nicht ernst genommen, weil er sich dagegen sträubte, sich noch einmal die irritierenden Details anzusehen, die irgendwie nicht zusammenpassten, und die seltsamen Zufälle, die irgendwie zu seltsam waren. Oder war es etwas Schlimmeres als Trägheit gewesen – die ihm in all den Jahren bei der Truppe keiner vorwerfen konnte –, was ihn davon abhielt, die schwelenden Fragen zu lösen, die im Cupido-Fall offengeblieben waren?
Hatte er den Mund gehalten und die Augen verschlossen, um eine Freundin zu retten?
Der Fall Cupido war viel aufreibender gewesen, als er Daria glauben ließ. Kurz nach Bantlings Verurteilung hatte ein weiterer Wahnsinniger nach C. J.s Leben getrachtet, Dr. Gregory Chambers, ein Rechtspsychologe – den C. J. anscheinend nicht nur als Kollegen, sondern auch als Freund geschätzt hatte. Wie sich herausstellte, war Chambers auch Bantlings Therapeut gewesen. Sich die kranken Phantasien seines Patienten anzuhören, schien einen Schalter in ihm umgelegt und ihn zu einem Möchtegern-Cupido gemacht zu haben, besessen von C. J. Wenn es ihr nicht gelungen wäre, eine Schere zu greifen und ihm damit ein Loch in die Brust zu bohren, hätte er vermutlich ein Loch in ihre Brust gestochen. Es gab keinen Zweifel daran, dass sie ihn aus Notwehr getötet hatte, und nichts, was ihn mit den anderen Morden in Verbindung brachte, als Manny den Fall schloss. Und so war Bantling im Todestrakt gelandet, aber …
2004 waren drei der Polizisten, die mit dem Cupido-Fall zu tun hatten, ermordet worden, darunter auch Chavez, der Verkehrspolizist, der Bantling wegen erhöhter Geschwindigkeit angehalten hatte. Allerdings war so gut wie jeder Polizist im Großraum Miami in irgendeiner Form an der Jagd auf Cupido beteiligt gewesen, weswegen es keinen Grund gab, in dieser Richtung zu ermitteln, auch wenn die Tatsache merkwürdig war. Dann kam der Richter bei einem Autounfall ums Leben, und Bantlings alte Verteidigerin Lourdes Rubio wurde mit durchschnittener Kehle in ihrer Kanzlei in Colorado gefunden, wenige Tage bevor sie nach Miami zurückfliegen sollte, um bei Bantlings Berufungsverfahren auszusagen. Zu diesem Zeitpunkt hatte Bantling Manny erzählt, er sei Mitglied eines Snuff-Clubs gewesen, der von niemand anderem als dem verstorbenen Dr. Chambers organisiert worden war. Und mit dieser Information tat Manny …
Nichts. Überhaupt nichts.
Jetzt wurden wieder junge Frauen ermordet, und es gab möglicherweise eine Verbindung zu Bantling. Und Daria, die Anklägerin in einem dieser Mordfälle, wurde bedroht, vielleicht sogar gestalkt. Er schob den halbvollen Teller weg.
Manchmal sehen wir nicht, was wir nicht sehen wollen, Manuel.
Wie bei einem Hologramm, das ins rechte Licht gedreht wurde, tauchte plötzlich das Bild vor ihm auf. Manny trank sein Bier aus und wünschte fast, der Alkohol würde den Selbsterkenntnis-Quatsch vernebeln. Falls es stimmte, dass er vor zehn Jahren die Augen vor den Fakten verschlossen hatte, weil sie ihm gegen den Strich gingen oder weil sie zu haarsträubend waren, um sie zu begreifen, oder weil er eine Freundschaft retten wollte, die es
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