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Aristoteles: Grundwissen Philosophie

Aristoteles: Grundwissen Philosophie

Titel: Aristoteles: Grundwissen Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Detel
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Handlungen abwägend auf den Gesamtplan des guten Lebens abstimmen (»Einzelheit«) und ist insgesamt Zweck in sich selbst, d. h. sie produziert Handeln als Konstituens des Glücks.
    Auf der Grundlage dieser Bestimmungen kann das Glück genauer definiert werden (NE I 6):
    (5) Das Glück ist eine Tätigkeit der Seele, die in einem Handeln mündet, das von ethischer Vernunft im Sinne von (4) bestimmt wird, eine vortreffliche spezifische Leistung des [89] Menschen im Sinne von (3) ist und ein ganzes Leben lang durchgehalten wird.
    Für Aristoteles ist klar, dass das Glück im Sinne von (5) den oben genannten Kriterienkatalog für das beste Leben optimal erfüllt, wenn ein bescheidener äußerer Wohlstand hinzutritt, der den Menschen weitgehend von notwendiger Arbeit befreit. Menschen, die überwiegend notwendige Arbeit für ihren Lebensunterhalt zu verrichten haben, können im anspruchsvollen Sinne von (5) kein glückliches Leben führen. Das ist für Aristoteles bedauerlich, aber unabänderlich. Das Glück im Sinne von (5) charakterisiert als das beste Leben ein blühendes, reiches, vielfältiges, aktives und geprüftes Leben, das zugleich höchste Lust gewährt. Es enthält verschiedene konstitutive Bestandteile, so etwa auch Ehre und physische Lust, jedoch stets eingebunden in einen Entwurf des guten Lebens, der von der ethischen Vernunft geleitet ist.
    Zwei der wichtigsten Probleme, die in der Literatur immer wieder mit dieser ethischen Bestimmung des Glücks in Verbindung gebracht worden sind, seien hier kurz diskutiert. Da ist zum einen der Begriff der ethischen Vernunft, der modernen Interpreten oft Verständnisschwierigkeiten bereitet. Einer der Gründe dafür ist, dass sich im modernen Denken eine scharfe Trennung zwischen Erkennen und Bewerten eingebürgert hat. In letzter Zeit ist diese Trennung allerdings zunehmend obsolet geworden, u.a. seit philosophische Wissenstheorie und kognitive Psychologie enger zusammenarbeiten. Man beginnt wieder zu realisieren, dass die elementarsten kognitiven Vorgänge bei Menschen wie bei Tieren evaluativ geladen sind und dass umgekehrt viele Evaluationen eine kognitive Dimension haben. Etwas Rotes wahrzunehmen ist beispielsweise für viele Tiere ein evaluatives Signal – für bestimmte Fische bedeutet es z. B. sexuelle Attraktivität. Auch die Wahrnehmung von etwas Gefährlichem hat auf der elementarsten Ebene fast immer kognitiven Gehalt. Dass ein Ding oder Wesen oder Zustand für einen Organismus gefährlich ist, kann ja selbst ein »objektives« Faktum sein. Derartige mentale Zustände sind [90] offenbar zugleich »erkennend« und »strebend«, ähnlich wie Aristoteles’ ethische Vernunft auf höherer Ebene. Eine intrinsische Verbindung zwischen Erkennen und Bewerten des Faktischen ist zentral für die Interaktion aller Organismen mit der externen Welt.
    Ein weiteres Problem hat man darin gesehen, dass die aristotelische Glücksdefinition einen naturalistischen Fehlschluss zu enthalten scheint, also eine unzulässige Ableitung eines Sollens aus dem Sein. Versucht Aristoteles nicht aus faktischen anthropologischen Daten einen dicken normativen Begriff des Glücks herzuleiten? Das ist genauer besehen nicht der Fall. Die anthropologischen Daten, von denen Aristoteles ausgeht, artikulieren die funktionale Organisation des Menschen, die für Aristoteles ihrerseits bereits eine doppelte Normativität aufweist: Einerseits handelt es sich um Normalzustände, die in übergeordnete Ziele eingebettet sind – bis hin, wie wir an einem Beispiel gesehen haben, zum höchsten Ziel der Teilhabe am Unendlichen und Göttlichen. Und zum anderen ist es, wie Aristoteles in seiner Psychologie bemerkt, ein empirisches Faktum, dass empfindungsfähige Wesen – also Tiere – die optimale Entfaltung ihrer spezifischen Fähigkeiten als angenehm empfinden. Aristoteles zufolge geht es freilich in beiden Fällen um eine Normativität
in
den Tieren und ihrer Organisation, die sie keineswegs erst durch ein Bewerten seitens menschlicher Betrachter erhalten. Diese »faktische« Normativität wird durch die Bestimmung des Glücks im spezifischen Fall des Menschen nur schärfer artikuliert und nicht etwa aus Daten abgeleitet, die von aller Normativität frei sind.
    Wie bereits kurz bemerkt, ist die ethische Arbeit am Selbst, die ein intrinsischer Bestandteil des glücklichen und blühenden Lebens ist, vornehmlich auf die Ausbildung humanspezifischer Vortrefflichkeit ausgerichtet: auf die Ausbildung der

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