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Aristoteles: Grundwissen Philosophie

Aristoteles: Grundwissen Philosophie

Titel: Aristoteles: Grundwissen Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Detel
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Contract Social
und artikuliert eine der wichtigsten Intuitionen, die der Leitfrage der neuzeitlichen politischen Philosophie zugrunde liegen: Wenn der Mensch frei geboren ist – unter welchen Bedingungen ist staatliche Herrschaft dann überhaupt gerechtfertigt? Die Antwort der einflussreichsten neuzeitlichen politischen Philosophen lautete: Nur wenn Leben und Eigentum im Rahmen des politischen Körpers wirksam geschützt werden. Denn alle Menschen haben ein natürliches Recht auf die Verteidigung ihres Lebens und Eigentums, und sie sollten ihr natürliches Recht auf Verwendung aller Mittel zur Verteidigung von Leben und Eigentum vernünftigerweise nur an den politischen Souverän abgeben, wenn dieser einen wirksameren Schutz gegen Angriffe auf Leben und Eigentum garantieren [107] kann. Der Staat muss daher so konstruiert werden, dass seine Bürger der Konstruktion aus freien Stücken im rationalen Eigeninteresse zustimmen oder zustimmen könnten. Staatliche Herrschaft muss durch einen Vertrag konstituiert werden oder zumindest konstituiert werden können, den alle Bürger miteinander abzuschließen bereit sind, gerade weil sie erwarten dürfen, dass der politische Souverän die skizzierte Sicherheit gewährleisten kann. Und diese Sicherheit gilt als entscheidende Bedingung dafür, dass alle Bürger ihre Lebenspläne im Rahmen der Gesetze entwerfen und verfolgen können. Das sind einige der grundlegenden Ideen, von denen die moderne Vertragstheorie des Staates – von Thomas Hobbes (1588–1679), über John Locke (1632–1704) und Rousseau bis Immanuel Kant (1724–1804) – beseelt ist.
    Aristoteles geht dagegen in seiner politischen Theorie von dem anthropologischen Grundsatz aus, dass die Menschen und allgemeiner die Tiere von Natur aus bedürftig sind und daher der Bildung von Gemeinschaften bedürfen, um zu überleben und – im Falle der Menschen – darüber hinaus ihrem höchsten Ziel näher zu kommen: ein möglichst glückliches Leben zu führen. Mutter Natur, die stets oder doch meistens zweckorientiert arbeitet, hat es so eingerichtet, dass die Menschen von Natur aus zur Bildung von Gemeinschaften tendieren und diese Disposition mit dem Ziel des Überlebens und des guten Lebens auch tatsächlich aktualisieren. Dabei entwickeln sich verschiedene natürliche Herrschaftsverhältnisse. Alle Gemeinschaften und Herrschaftsverhältnisse, unter Tieren wie unter Menschen, entstehen somit von Natur aus, und zwar zum gegenseitigen Nutzen der Gemeinschaftsmitglieder. Und dies gilt auch für die höchste und beste aller Gemeinschaften, den Stadtstaat (Pol. I 2).
    Der Mensch ist demnach von Natur aus ein politisches (i. e. staatenbildendes) Wesen (Pol. I 2, 1253a), d. h., er braucht von Natur aus eine politische Gemeinschaft, um als Bürger autark zu sein und sich im Rahmen der Polis entsprechend seinen Begabungen und seiner Vernunft so weit wie möglich zur [108] ethischen Vollkommenheit hin zu entwickeln. Die politische Gemeinschaft hat daher wesentlich die Aufgabe, den Bürgern nicht nur das Überleben, sondern auch ihre Arbeit an der eigenen Tugend zu ermöglichen: Ziel der politischen Kunst ist es, die Bürger besser zu machen (NE I 1, 1094a–b). Und diese Aufgabe kann die politische Gemeinschaft nur erfüllen, wenn sie selbst ökonomisch, militärisch und politisch autark ist, die Vernunft und das Glück ihrer Bürger fördert, eine ausreichende Arbeitsteilung gewährleistet und hinreichend stabil ist. Zur Lösung dieser Aufgabe knüpft die politische Gemeinschaft an jene Grundzüge des Menschen an, die in ihm als einem sozialen Lebewesen immer schon latent angelegt sind: an sein Streben nach Glück und Vollkommenheit, an seine unterschiedlichen spezifischen Begabungen, an seine Vernunft und an sein ethisches Empfinden. Aus dieser Perspektive auf das Politische muss beispielsweise gefragt werden: Aus welchen Teilen und Herrschaftsverhältnissen besteht der Stadtstaat? Wodurch ist der Bürger eines Stadtstaates bestimmt? Welche Verfassung muss ein Stadtstaat haben, damit er die natürlichen Herrschaftsverhältnisse am besten abbildet und das Streben seiner freien Bürger nach Glück am nachhaltigsten fördern kann? 35
    Die aristotelische Schrift
Politik
stellt die erste detaillierte Ausarbeitung dieses Programms dar – nicht wie bei Platon eine Theorie des idealen Stadtstaates, sondern eine Theorie der optimalen Gestaltung des Stadtstaates unter den faktischen historischen Bedingungen der klassischen

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