Aristoteles: Grundwissen Philosophie
Zeit verstärkt auch auf bahnbrechende Leistungen des Aristoteles vor allem auf dem Gebiet der Chemie und Biologie hingewiesen, die in der einen oder anderen Form die Wissenschaftsgeschichte seit der Antike überdauert haben. 41 In der Physik hat sich von der Frühen Neuzeit an eine Partikelmetaphysik durchgesetzt, die an den Atomismus anknüpft, den Aristoteles so heftig bekämpft hatte. Die zentrale Idee ist, dass es basalste (materielle) Partikel oder Energiepakete (als Äquivalente zu materiellen Partikeln) gibt, die durch immaterielle universelle Strukturen geprägt sind, um deren Status Nominalisten und Platonisten streiten. Das Weltbild der klassischen Physik beruht auf dieser Partikelmetaphysik. Das Problem ist allerdings, dass es keine basalsten Partikel in materieller oder energetischer Form gibt. Die moderne Physik sagt uns vielmehr, dass die basalsten Entitäten Quantenfelder sind, die keine Existenz unabhängig von ihren Strukturen oder Konfigurationen haben. Quantenfelder enthalten Prozesse, die nur in bestimmten Konfigurationen existieren können. Diese Konfigurationen kommen in unterschiedlichen Allgemeinheits- und Komplexitätsgraden vor. Sie generieren neue Entitäten, sind aber stets essenziell für diese Entitäten. Und dabei können sich offenbar neue und zum Teil allgemeinere Konfigurationen manifestieren, die in den zugrunde liegenden spezielleren Konfigurationen strukturell realisiert [127] sind, jedoch zugleich neue kausale Kräfte entfalten können. 42 Das Interessante an diesem neuen Bild ist u. a., dass die Quantenfelder »als solche« nur einen Möglichkeitsraum darstellen, der erst durch Verbindung mit essenziellen Formen ontologische Aktualität gewinnt. Zugleich verlieren Raum und Zeit ihren klassischen Status als fundamentale Parameter, denn nach der Relativitätstheorie sind Raum und Zeit abhängig von Masse, Impuls und Geschwindigkeit. Es ist offensichtlich, dass diese Vorstellungen der modernsten Physik weit weniger mit der klassischen Physik als mit aristotelischen Ideen in Metaphysik und Naturphilosophie zu tun haben.
Ein analoger Befund ergibt sich für die Psychologie und die Theorie des Geistes. Der mythische und christliche Seelenbegriff ist mit der Vorstellung verbunden, dass Gott dem menschlichen Körper die Seele einhaucht, dass also Seele und Körper getrennt sind, dass die Seele unsterblich ist und dass nur Menschen eine Seele haben. Diese Vorstellung wurde von der neuzeitlichen westlichen Philosophie auf wirkungsmächtige Weise untermauert und präzisiert. René Descartes (1596–1650) hat eine scharfe Unterscheidung von denkender und ausgedehnter (körperlicher) Substanz eingeführt, die durch die These der britischen Empiristen George Berkeley (1685–1753) und David Hume (1711–1776), dass Sinneseindrücke und Gedanken vollständig immateriell sind, weiter gestützt wurde. Und nach Kant gibt es eine scharfe Unterscheidung zwischen empirischem und transzendentalem Ich, zwischen gegebenen Erscheinungen und spontaner Synthesis und allgemeiner zwischen dem moralischen Reich der Freiheit und dem empirischen Reich der Notwendigkeit. Damit entstand die Frage, wie wir die Beziehung zwischen diesen Reichen der Spontaneität und Freiheit einerseits und der Notwendigkeit und den Naturgesetzen andererseits denken sollen. Das frühneuzeitliche Leib-Seele-Problem beruht daher allgemein auf der Frage, wie zwei so unterschiedliche Substanzen wie Geist und Körper überhaupt miteinander verbunden sein können.
[128] Die heutige Theorie des Geistes geht dagegen nicht mehr davon aus, dass der Geist eine Substanz ist, sondern durch drei spezifische Merkmale von Gehirnzuständen und anderen physischen Zuständen (»mentalen Eigenschaften«) charakterisiert ist: (i) die Eigenschaft, funktional zu sein, d. h. in kausale Ereignisketten und Algorithmen eingebunden zu sein, (ii) die Eigenschaft, repräsentational zu sein, und (iii) die Eigenschaft, bewusst zu sein. Natürlich wird angenommen, dass der Geist auf allen seinen Ebenen von einem funktionierenden materiellen Gehirn ontologisch abhängig ist, dass also weder der Geist insgesamt noch einer seiner Teile unsterblich ist. Das moderne Leib-Seele-Problem beruht dann auf der Frage nach der Beziehung zwischen mentalen und physischen Eigenschaften des Gehirns und anderer physischer Dinge: Sind (i) die Menge der Funktionen (Algorithmen), (ii) das phänomenale Bewusstsein (die Wahrnehmungen) und (iii) die Menge der Repräsentationen (vor
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