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Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)

Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)

Titel: Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmut Flashar
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so wird zunächst klar, dass Aristoteles auf eine reiche Diskussion über das Thema Lust zurückblickt.[ 28 ] In der Philosophie ist es Demokrit (ca. 460 – ca. 370), der als Erster verschiedene Formen der Lust differenziert und mit dem «Guten» in Verbindung gebracht hat, indem er die maßvolle Lust für ein gelungenes Leben zulässt und ein Unmaß an Lust verwirft. Bei ihm finden wir den Maßgedanken zuerst philosophisch reflektiert. Gleichzeitig wird die Lust ein Gegenstand der Erörterung in der Sophistik (Prodikos, Kallikles) und im Sinne der Lustfeindschaft bei den Kynikern (Antisthenes); insbesondere aber wird die Lust diskutiert in der platonischen Akademie. An erster Stelle ist der berühmte Mathematiker und Astronom Eudoxos von Knidos (ca. 400 – ca. 347) zu nennen, der die Lust überhaupt zum höchsten Gut erklärt, weil er der Auffassung war, dass alle Lebewesen unabhängig von einem bestimmten Zweck nach Lust streben. Aristoteles lehnt diese These zwar ab, begegnet ihr aber mit Hochachtung, weil Eudoxos wegen seines edlen Charakters frei von dem Verdacht sei, als Lüstling in eigener Sache zu argumentieren (X 2, 1172 b 15). Ebenso hat Speusipp eine Schrift über die Lust geschrieben; Aristoteles erwähnt ihn (VII 14, 1153 b 5) und lehnt seine These ab, es gebe einen lust- und schmerzlosen mittleren Zustand. Auch von Herakleides Ponticus ist ein Titel Über die Lust (Diogenes Laertius V 6, 88) überliefert (über den Inhalt dieser Schrift wissen wir nichts), vor allem aber ist Platons Dialog Philebos zu erwähnen, der gleichsam unter den Augen des Aristoteles in dessen Zeit an der Akademie entstanden ist.[ 29 ]
    Der Philebos ist ein komplizierter Dialog mit einer seltsamen Szenerie. Denn Philebos, nach dem der Dialog benannt ist, spricht nur wenige Worte am Anfang und zieht sich dann ermüdet zurück, und zwar aus einer offenbar schon in Gang befindlichen Debatte, aber noch vor der eigentlichen Erörterung des Themas. Er ist ein schöner junger Mann ( Philebos 11 C), der sein Leben der Lust weiht, dem aber Debatten über dieses Thema lästig sind. Es geht nun im Gespräch zwischen Sokrates und Protarchos um das Verhältnis der Lust zum Guten. Sokrates stellt sogleich die These auf, Vernunft, Erkennen und Sich-Erinnern seien besser als die Lust, während Protarchos mehr auf der Seite des Philebos, also auf der Seite der Lust, steht. Im Laufe des Gespräches werden beide Standpunkte einer differenzierteren Lösung weichen, wobei es in der Argumentation um komplizierte Sachverhalte der platonischen Ontologie geht, um das Eine und das Viele, um Entstehung, Wahrheit, Reinheit und Unreinheit der Lust mit dem Ergebnis, dass ein aus Lust und Vernunft (bzw. Klugheit) gemischtes Leben das beste sei, die Vernunft aber dem Guten doch viel näher stehe als die Lust, beide allein aber der Selbständigkeit ermangeln. Die drei Prinzipien: Maß, Schönheit und Wahrheit sind die Normen, nach denen die Lust bewertet und in ihrer maßvollen Form zugelassen wird.
    Aristoteles kannte natürlich alle, insbesondere die innerakademischen Diskussionen über die Lust. Auf den platonischen Philebos geht er allerdings allenfalls indirekt ein; vielleicht standen ihm die aktuellen mündlichen Diskussionen in der Akademie unmittelbarer vor Augen. Überhaupt hat er die Debatte weitgehend entpersonalisiert; in seiner ersten Lustabhandlung wird allein Speusipp kurz mit Namen erwähnt (VII 14, 1153 b 5), in der zweiten Lustabhandlung nur Eudoxos (X 1, 1172 b 9), dessen Lehre allerdings etwas ausführlicher diskutiert wird. Aristoteles geht zunächst ganz schematisch vor. Er teilt die verschiedenen Standpunkte ein in 1. Keine Lust ist gut, 2. Die Mehrzahl der Lustarten ist schlecht, 3. Die Lust kann nicht das höchste Gut sein. Dann folgt eine Analyse der Argumente für und gegen diese Standpunkte, die nur gelegentlich durch plastische Vergleiche untermauert wird, wie:
Wenn aber manche sagen, der Mensch auf der Folter oder der von schwerem Missgeschick Getroffene sei glücklich, sofern er nur tugendhaft sei, so reden sie, gewollt oder ungewollt, Unsinn (VII 14, 1153 b 19–23).
    Die eigene Auffassung des Aristoteles ergibt sich konsequent aus dem Ansatz, das Glück liege in der Tätigkeit (Energeia) im Sinne des ethisch wertvollen Handelns zu begreifen. Denn dabei stelle sich die Lust von selbst ein; sie kann sogar die Vollendung der Tätigkeit sein. Aristoteles teilt mit Eudoxos die Richtigkeit des Befundes, wonach alle Lebewesen,

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