Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)

Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)

Titel: Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmut Flashar
Vom Netzwerk:
aber auch eine Form der Unbeherrschtheit, die sich nur auf ein Teilgebiet, auf einen an sich vorwurfsfreien Bereich bezieht wie Geld, Gewinn und Ansehen. Hier ist nur das Übermaß verwerflich; übertriebene Geldgier, Gewinnsucht und Reputationsgehabe sind als Übermaß guter Ziele Ausprägungen partieller Unbeherrschtheit.
    Zu den nur auf ein Gebiet bezogenen Unbeherrschtheiten gehört auch die «heftige Aufwallung»in den Übersetzungen oft nicht ganz zutreffend mit «Zorn» wiedergegeben), bei der man auf den «Logos» zwar hört, aber infolge von Hitzigkeit und Übereiltheit der Natur nicht richtig hinhört. Aristoteles nennt als Beispiele voreilige Diener, die, noch ehe sie alles gehört haben, was man ihnen sagt, davonrennen und ihren Auftrag durcheinanderbringen, und Hunde, die bei jedem Geräusch sofort bellen, noch bevor sie merken, ob das Geräusch von einem Bekannten kommt (VII 7, 1149 a 25–1149 b 3). Derartige mildere Formen der Unbeherrschtheit finden Nachsicht.
    Nicht so anmutig sind die Beispiele, die Aristoteles für das eingangs erwähnte in der Diskussion jetzt (VII 6, 1148 b 19–24) noch einmal aufgegriffene «tierische Wesen» – hier eher verstanden als «Bestialität» – in die Formen der Unbeherrschtheit einordnet, wie Kannibalismus in den schlimmsten Abartigkeiten (Aufschlitzen von Schwangeren und Verzehr von Kindern), wofür sich Aristoteles auf «verwilderte Stämme am Schwarzen Meer» beruft.
    Insgesamt hat man den Eindruck, Aristoteles ringt mit dem Phänomen der Unbeherrschtheit des Menschen. Er argumentiert[ 26 ] logisch und psychologisch. Logisch insofern, als er versucht, typische Verhaltensmuster in die Form eines Syllogismus zu bringen. Zugrunde liegt die Annahme, der Unbeherrschte habe ein langfristiges, rationales, auf Vorsatz beruhendes Handlungsziel, zum Beispiel süße Nahrungsmittel als gesundheitsschädlich zu betrachten. Er kommt aber von diesem Ziel ab und legt sich einen neuen logischen Schluss als Trick zurecht: Alles Süße muss man kosten, diese Speise ist süß, also muss ich diese Speise kosten (VII 5, 1147 a 29–34). Auf diese Weise kann der Unbeherrschte sogar in gewisser Weise aufgrund von logischem Kalkül unbeherrscht werden (VII 5, 1147 b 1).
    Psychologisch argumentiert Aristoteles unter Verwendung zahlreicher lebensnaher und auch lebensferner Beispiele, die die Kraft einer unmittelbaren Evidenz haben. Beide Formen der Argumentation laufen auf das Ergebnis hinaus: Der Besonnene kann nicht gleichzeitig unbeherrscht sein. Besonnene Klugheitund Unbeherrschtheit schließen sich aus. Dieses Ergebnis hätte Aristoteles natürlich auch einfacher erzielen können. Aber er wollte im Rahmen seiner Fragestellung und mit seinen methodischen Mitteln eine Analyse der Probleme vorlegen, die mit den Vorgängen im Innern des Menschen zusammenhängen, welche auf minderwertigem Handeln wider besseres Wissen beruhen. Die Tragweite dieser Probleme ist enorm und in vollem Ausmaß wohl erst durch die Tiefen- und Gerichtspsychologie des beginnenden 20. Jahrhunderts erkannt worden.
    L UST
    Dass die Lust ein wesentlicher Faktor zum Erreichen des spezifisch menschlichen Glücks ist, ergibt sich aus dem Ansatz des Aristoteles ganz natürlich. Wer die Tugenden ohne jede Lust verwirklicht, kann nicht glücklich werden. Dabei ist zu bedenken, dass der Begriff Hedonéals «Lust» das Wortfeld «Freude» zu einem guten Teil mitumfasst. Dadurch wird noch sinnfälliger, dass das Glück im Sinne der tugendhaften Tätigkeit nur erreicht werden kann, wenn Freude dabei ist.
    Nun belässt es Aristoteles nicht bei dieser Feststellung, sondern gibt eine systematische Analyse des ganzen Phänomens, was innerhalb der Darstellung einer Ethik auch erwartet werden konnte. In der Nikomachischen Ethik finden sich aber nun gleich zwei Lustabhandlungen, a) in Buch VII 12 bis 15 und b) in Buch X 1 bis 5. Die zweite Abhandlung ergänzt nicht die erste, vielmehr sind beide voneinander unabhängig, wobei die zweite Fassung die spätere, weil reifere Form darstellt. Eine mögliche Erklärung für diesen Befund kann darin liegen, dass die erste Lustabhandlung in den sogenannten kontroversen Büchern steht, deren Text gleichzeitig auch für die Eudemische Ethik überliefert ist.[ 27 ] Würde man diese erste Lustabhandlung der Eudemischen Ethik zuweisen, hätte jede der beiden Ethiken je eine Lustabhandlung. Aber das alles ist in hohem Maße umstritten.
    Nehmen wir in der Besprechung beide Abhandlungen zusammen,

Weitere Kostenlose Bücher