Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)

Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)

Titel: Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmut Flashar
Vom Netzwerk:
Problem und wollen inkonsistente Zugeständnisse bei logisch korrektem Verfahren aufdecken. So werden zum Beispiel die Konsequenzen bedacht, die sich daraus ergeben, dass ein und dasselbe Wissen sich auf mehrere Wissensgegenstände bezieht. Es kann sich ein und dasselbe Wissen auf einen primären Gegenstand des Wissens oder auf eine konkrete Erscheinungsform durch Hinzutreten eines Akzidenz beziehen. So weiß man vom Dreieck «an sich», dass es eine bestimmte Winkelsumme hat, die zwei rechten Winkeln (also 180 Grad) entspricht. Von dem gleichseitigen Dreieck aber weiß man das nur akzidentiell, weil es dem gleichseitigen Dreieck zukommt, ein Dreieck zu sein, denn das gleichseitige Dreieck ist als «Akzidenz» eine modifizierte Erscheinungsform des Dreiecks «an sich» (II 3, 110 b 21–25). Hier, wie auch bei vielen anderen Beispielen sieht man, dass sich die Topen auch auf den Bereich der Wissenschaft beziehen, obwohl der dialektische Syllogismus das Streitgespräch im Rahmen der allgemein akzeptierten «Meinungen» zum Gegenstand hat. Eine Vielzahl derartigen Topen (die hier nicht alle aufgeführt werden können) füllt den großen Mittelteil der Topik aus.
    Das abschließende achte Buch führt wieder auf die Disputation im Ganzen zurück. Aristoteles skizziert dabei kurz auch die Haltung des Philosophen im Streitgespräch:
Den Philosophen und den, der für sich selber forscht, kümmert es nicht, wenn die Sätze, durch die der Syllogismus zustande kommt, zwar wahr und bekannt sind, aber der Antwortende sie nicht zugesteht, … aber vielleicht wird er sich doch darum bemühen, möglichst bekannte und mit einander in enger Verbindung stehende Axiome zum Ausgangspunkt zu nehmen (Top. VIII 1, 155 b 10–15).
    Hier leuchtet in wenigen Worten die Gestalt des forschenden Philosophen auf, der über allem Schulstreit nicht den Sieg im Gespräch, sondern die Wahrheit sucht, wenn er auch im Gespräch auf der Ebene der Dialektik dem Diskussionspartner entgegenkommt. Denn im Streitgespräch soll man die Prämissen und Konklusionen nicht geradeheraus anbieten, unter Umständen sogar verbergen. Man soll gelegentlich Einwände gegen sich selbst erheben, dabei vorsichtig sein und auch nicht zu eifrig argumentieren (Top. VIII 1–3).
    Ferner differenziert Aristoteles zwischen dem Streitgespräch und dem Gespräch zwischen Lehrenden und Lernenden. Denn die Ziele sind in beiden Fällen nicht die gleichen. Kein Lehrender versucht, etwas Falsches zu lehren, und der Lernende muss stets akzeptieren, was einleuchtend erscheint (Top. VIII 5, 159 a 26–30). Beim Streitgespräch hingegen rüstet sich der «Antwortende» von vornherein zum Gegenangriff. Hierbei geht Aristoteles von der Situation aus, dass das Streitgespräch zwischen zwei Teilnehmern stattfindet, einem «Fragenden» und einem «Antwortenden» (Top. VIII 4) oder einem Angreifer und einem Verteidiger. Der eine stellt die Prämissen auf, der andere muss durch Aufdeckung von Fehlern und Unstimmigkeiten das Inakzeptable zu widerlegen suchen (VIII 9). Was dabei im Einzelnen zu bedenken und zu beachten ist, wird ausführlich dargelegt. Dazu gehört, dass man einen Vorrat an Argumenten und Lehrsätzen durch Auswendiglernen zur Verfügung hat, um rasch und präzise argumentieren zu können (VIII 14, 163 b 17–20).
    Obwohl Aristoteles zwischen philosophischer und dialektischer Argumentation differenziert, spiegeln doch die zahlreichen Einzelbestimmungen für den dialektischen Syllogismus die philosophischen Erörterungen der Akademie wider, wie denn die wissenschaftliche Syllogistik aus der dialektischen hervorgegangen ist. Entsprechend verwendet Aristoteles vielfach Beispiele, die mit seiner eigenen Sachposition zusammenhängen. So äußert er sich mehrfach über das Verhältnis von Ideen und Dingen, über das Verhältnis von Substanz und Akzidenz, über die Ewigkeit des Kosmos, über die Relation von Körper und Seele, über Gerechtigkeit, Freundschaft, Lust, Schmerz, gutes Leben und vieles Andere mehr, ohne dass es möglich wäre, aus der Topik die frühe Stufe einer Ethik herauszudestillieren.[ 11 ] Geradezu aufregend ist der vieldiskutierte Satz: «Auch der Gott und der Gute können das Schlechte tun» (IV 5, 126 a 34). Aristoteles will zeigen, was theoretisch möglich ist, aber nicht vorkommt, im Gegensatz dazu, was absolut unmöglich ist. Neben einer Anspielung auf Speusipps Lehre vom Ähnlichen (I 18, 108 b 7–10) sind auch zahlreiche sprachliche Reminiszenzen aus den

Weitere Kostenlose Bücher