Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)
platonischen Dialogen Phaidros , Sophistes und Politikos erkennbar. Und überhaupt steht das ganze Verfahren der sokratisch-platonischen Elenktik hinter den Erörterungen über den dialektischen Syllogismus. Denn dieses Verfahren besteht ja darin, den Gesprächspartner dazu zu bringen, einvernehmlich aufgestellten Prämissen zuzustimmen, um daraus eine Folgerung zu ziehen, mit der der Gesprächspartner sich in Widersprüche verwickelt und sich so als der Unterlegene im dialektischen Wettstreit erweist. Sokrates (in der Darstellung Platons) verfügt über eine Fülle von Argumentationsmustern, deren systematische Rückführung auf ein logisches Gerüst sich in der aristotelischen Topik manifestiert. Schließlich sieht Aristoteles in der Dialektik keine wertneutrale logische Akrobatik, sondern betont ausdrücklich den ethischen Aspekt:
Das ist die wahrhaft gute Begabung, in der Lage zu sein, in richtiger Weise das Wahre zu wählen und das Falsche zu meiden, was eben die von Natur aus Begabten machen können. Denn wer mit rechter Liebe und rechtem Hass das Vorgetragene beurteilt, entscheidet richtig, was das Beste ist (Top. VIII 14, 163 b 13–16).
Das Gegenteil davon wird in den Sophistischen Widerlegungen dargestellt, die in einigen Handschriften als neuntes Buch der Topik fungieren und tatsächlich auch deren Fortsetzung sind. Hatte Aristoteles schon in der Topik (IV 5, 126 a 31) etwas maliziös die Sophisten in einem Atemzug mit Verleumdern und Dieben als diejenigen bezeichnet, die dazu fähig sind, heimlich fremden Besitz zu stehlen, so geht es jetzt um die missbräuchliche Verwendung des Schlussverfahrens durch die Sophisten. Sie besteht in der Verleitung zu unglaubwürdigen Behauptungen, zu Sprachfehlern und leerem Gerede sowie zu Trugschlüssen aller Art. Auf diese Weise wird der «eristische Syllogismus» gebildet, den Aristoteles schon zu Beginn der Topik genannt hatte (I 1, 101 a 3). Jetzt führt er aus, dass der Eristiker sich zum Dialektiker verhält wie der «Pseudograph» (der Zeichner falscher Figuren) zu dem Geometriker. Dieser geht von geometrischen Berechnungen aus, jener malt aufgrund allgemeiner Voraussetzungen, täuscht aber eine korrekte Zeichnung vor.
Das Schlusskapitel bezieht sich auf die Topik im Ganzen. Aristoteles sieht sich hier in einer besonderen Situation. In der Regel fußt man bei allen Errungenschaften auf den Vorarbeiten Früherer, die man dann weiterentwickelt. Von der hier dargestellten Lehre war aber bisher nicht etwa einiges schon bearbeitet, anderes noch nicht, sondern es war schlechthin gar nichts vorhanden (34, 183 b 34–36). Die Sophisten ließen lediglich Reden auswendig lernen; der Unterricht war kurz, eine wissenschaftliche Theorie lag nicht zugrunde. In der Syllogistik jedenfalls habe bislang die ganze Kunst darin bestanden, mit viel Aufwand von Zeit und Mühe planlos herumzusuchen. Aristoteles musste daher von Grund auf alles neu machen. Und so heißt es am Schluss, die Hörer (die ausdrücklich erwähnt werden) mögen mit den Mängeln seiner Theorie nachsichtig umgehen, für seine Errungenschaften aber auch sehr dankbar sein (34, 184 b 3–8).
Kein Zweifel: Aristoteles sucht – in der Akademie – Anerkennung für seine Leistung und die ist in der Tat gewaltig. Im Übrigen hat sich von der Topik aus ein ganz bestimmter Denk- und Argumentationsstil entwickelt, der in der problemorientierten Arbeitsweise des Aristoteles seinen Ausdruck findet, wie sie sich überall in den Pragmatien niederschlägt. Es ist das Verfahren, stets von den anerkannten «Meinungen» auszugehen, sie nicht zu verwerfen, sondern zu prüfen, um von da aus in die Problemerörterung einzudringen. Es ist auch die Kraft des Beispiels und des Einzelfalles, von der – insbesondere in der Ethik – eine offene, mit dem Ausdruck der Achtung vor dem Anderen und dem Respekt vor kollektiven Leistungen verbundene Einstellung zum Leben ausgeht.[ 12 ]
So hat denn das von Aristoteles ausgebildete topische Denken bis in die Gegenwart weit über Dialektik und Syllogistik hinaus in Bereichen wie Jurisprudenz, Politik und Poetik bis hin zu Heideggers «Topologie des Seins» eine enorme Bedeutung entfaltet, wobei allerdings Begriff und Sache von Topos und Topik starken Wandlungen unterworfen sind.
DIE ANALYTIKEN
Die vier Bücher Analytiken sind in zwei Schriften in je zwei Büchern gegliedert, in die Ersten Analytiken ( Analytica Priora ) und die Zweiten Analytiken ( Analytica Posteriora ). Das gemeinsame
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