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Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)

Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)

Titel: Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmut Flashar
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Da es unbegrenzt viele Teilungen in Streckenabschnitte gibt, kann der Läufer das Ziel in begrenzter Zeit nicht erreichen.
    2. Der Achilleus. Der schnellste Läufer kann das langsamste Lebewesen (Schildkröte) nicht überholen, sofern diese einen Vorsprung hat. Denn Achill muss erst den Punkt erreichen, von dem die Schildkröte gestartet ist, sodann den Punkt, den sie inzwischen erreicht hat und immer so weiter in stets kleineren Vorsprungsstrecken, die aber nie gegen Null tendieren.
    3. Der ruhende Pfeil. Wenn ein Pfeil einen ihm genau gleich großen Raum einnimmt und die Zeit als eine Folge von Jetzt-Punkten angenommen wird, dann ruht der Pfeil im Augenblick eines Jetzt-Punktes.
    4. Das Stadion. Zwei gleich große Gruppen von Körpern bewegen sich in einem Stadion aufeinander zu, die eine Gruppe vom Rand, die andere Gruppe von der Mitte des Stadions aus, und zwar mit gleich großer Geschwindigkeit. Ob Zenon gemeint hat, dass sich die beiden Gruppen nach der gleichen Teilstreckentheorie wie bei den drei anderen Beispielen nie begegnen, wird aus dem Text des Aristoteles nicht deutlich, zumal Aristoteles eine dritte, ruhende Gruppe einführt. Der Text ist unklar.
    Die Pointe bei Zenon ist jeweils die, dass der sichtbar im Lauf überholende Achill und der sichtbar fliegende Pfeil auf Sinnestäuschung basierten und es eine Bewegung überhaupt nicht gebe. Es ist erstaunlich, wie schwer Aristoteles die Widerlegung fällt. Sie erfolgt im Rekurs auf die Grundsätze der Zeit- und Bewegungsanschauung, also darauf, dass die Zeit keine Folge von Jetzt-Punkten, sondern ein fließendes Kontinuum sei, dass es das Unendliche im Raum nicht gebe, dass die Addition von Punkten keine Linie ergebe, dass in endlicher Zeit nur endlich viele Teilstrecken angenommen werden können.
    Das Kontinuum ist in der wörtlichen Übersetzung des Wortes «Syneches»ein «Zusammenhängendes», das weder Anfang noch Ende hat. Die Zeit ist ein Kontinuum, weil sie ewig und überall «kontinuierlich» ist. Man kann die Zeit nicht anhalten. Allenfalls fällt bei einzelnen Menschen zeitweilig das Zeitbewusstsein aus, aber die Zeit geht weiter. Bewegung insgesamt setzt das Kontinuum voraus, da sie in Ort und Zeit immer stattfindet. Man kann im Einzelnen einen bewegten Körper und damit die Bewegung anhalten, aber Ruhe an einem Körper gibt es nur bei potentieller Bewegung, wenn der Körper also auch wieder bewegt werden kann. Der Ruhezustand ist ein Korrelat zu Bewegung und Veränderung. Bewegung setzt Kontinuum voraus, weil sie sich in Ort und Zeit vollzieht.
    Es ist übrigens bemerkenswert, dass Aristoteles mit seinen Anschauungen zu Zeit und Kontinuum keine eigentlich mathematische Strukturtheorie vorlegt (nur die Widerlegung der zenonischen Paradoxien erfolgt mit Hilfe mathematischer Symbole), sondern unmittelbar die Grundstruktur der anschaulichen Welt zu erfassen sucht.
    Als Carl Friedrich von Weizsäcker nach eigener Bekundung erstmals in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts die Physik des Aristoteles gelesen hatte, fühlte er sich «glücklich über die aristotelische Auffassung des Kontinuums».[ 17 ] Es war die Zeit, in der Weizsäcker – zunächst noch in Göttingen, ab 1957 Professor für Philosophie an der Universität Hamburg – in regelmäßiger Diskussion über Platon und Aristoteles mit seinem Freund Georg Picht stand, dem Leiter des Platon-Archivs in Hinterzarten.[ 18 ] Weizsäcker hatte seine Erkenntnisse und Entdeckungen auf dem Gebiet der Physik schon hinter sich. Jetzt urteilt er: «Die Beschreibung, die Aristoteles von Kontinuum, Zeit und Bewegung gibt, ist besser begründet als die in der heutigen Physik übliche»[ 19 ] … «während die Infinitesimalmathematik mit dem Postulat aktualunabhängiger Mengen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu der so viel schwerer zu rechtfertigenden Auffassung des Unendlichen übergegangen ist.»[ 20 ]
    Und zu der Widerlegung der zenonischen Paradoxien durch Aristoteles bemerkt von Weizsäcker: «Kein Quantentheoretiker hätte das schöner sagen können.»
    D IE B RÜCKE ZUM ERSTEN B EWEGER
    Das siebente Buch der Physik besteht aus verschiedenen, ursprünglich wohl unverbundenen Entwürfen zum Thema der Bewegung und Veränderung in der physikalischen Welt.[ 21 ] Neben den schon bekannten Grundsätzen wie: «Jeder bewegte Gegenstand wird von etwas bewegt» taucht der Begriff der Qualitätsveränderung»auf, dessen Eigenart und Grenzen erörtert werden. Dabei unterscheidet Aristoteles

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