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Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)

Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)

Titel: Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmut Flashar
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mit Asche gefüllt ist und ebenso viel Wasser aufnehmen kann, als wäre es ‹leer›.
    Selbstverständlich lehnt Aristoteles – mit nicht immer leicht durchschaubaren Argumenten – die Existenz eines leeren Raumes ab. Eine solche Annahme widerspräche allen Grundsätzen seiner Physik. Sie widerspräche vor allem den aristotelischen Bewegungsprinzipien. Diese sehen natürliche Bewegungen nach oben und unten vor, während der Raum der Atomisten rein mechanische Bewegungen und keine Zielrichtungen kennt, also «isotrop» ist. Schließlich gelangt Aristoteles zu der etwas spöttisch formulierten Feststellung, die Annahme des Leeren sei in Wirklichkeit eine «leere Annahme» (Phys. II 8, 216 a 26). Die Atomistik kennt keine Teleologie, keine zweckmäßige Einrichtung der Natur, kein immaterielles Seinsprinzip, nur Zusammenballungen von Atomen verschiedener Größe und Gestalt. Das Weltbild des Aristoteles ist von alledem das Gegenteil. Seine Konzeption von Bewegung, Wachstum, Zweckursache und Naturgeschehen im Ganzen erlaubt folgerichtig nicht die Annahme eines «leeren Raumes».
    Aber das Problem war damit nicht ausgestanden. Das zweite Schulhaupt nach Aristoteles in der Leitung des Peripatos, Straton von Lampsakos (1. Hälfte des 3. Jh.s v. Chr.), hat, losgelöst von den übrigen Prinzipien der Atomisten, eine ganz eigentümliche Lehre von diskontinuierlichen leeren Räumen angenommen und darüber eine (verlorene) Schrift Über das Leere verfasst. Er ging davon aus, dass Sonnenstrahlen, aber auch Wärme, Kälte und Luft in andere Körper eindringen können, welche dann leere Hohlräume aufweisen müssten. Offenbar hat Straton in seiner Schrift das aristotelische Beispiel von dem Gefäß, das für Asche und Wasser zusammen ebenso viel Platz hat wie für jedes einzeln (Phys. IV 7, 214 b 5–10), aufgenommen, aber unaristotelisch umgebogen als Beleg für die Existenz leerer Hohlräume in den Körpern, hier: in der Asche.[ 11 ] Straton wurde «der Physiker» genannt, weil er auf jede Art metaphysischer Begründung verzichtete.
    Z EIT
    Die komplizierte Abhandlung über die Zeit ( Physik IV 10–14) hat von jeher die Aufmerksamkeit der Interpreten auf sich gezogen, ist doch die Zeit ein Kernstück jeglicher Physik. Ausgangspunkt ist die Frage, wie sich die Zeit zum Sein verhält.[ 12 ] Sein und Zeit ist der Titel des Hauptwerkes von Martin Heidegger (1927);[ 13 ] die Brisanz des Themas, inwieweit sich Seiendes in der Zeit zeigt, bleibt aktuell.
Das eine Stück Zeit ist vorbei und ist nicht mehr, das andere kommt erst noch und ist noch nicht. Aus diesen Stücken besteht sowohl die unendliche als auch die jeweils herausgegriffene Zeit (Phys. IV 10, 217 b 33–218 a 2).
    Aristoteles arbeitet offenbar mit zwei verschiedenen Zeitbegriffen, einmal der unendlichen, ewigen Zeit ohne Anfang und Ende und dann mit dem Zeitabschnitt als Grenze zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Diesen Zeitabschnitt nennt er auch «das Jetzt»
    Was nun das Wesen der Zeit betrifft, so findet Aristoteles in der Überlieferung keine klare Auskunft. Den älteren griechischen Denkern galt die Zeit als eine selbständige, überwirkliche Macht. Für Platon ist die Zeit zusammen mit dem Kosmos das Werk eines göttlichen Demiurgen, als Abbild einer Ewigkeit geschaffen ( Timaios 37 C – 39 D), ihrerseits ewig insofern, als sie, einmal geschaffen, unbegrenzt andauert. Aristoteles wendet sich gegen diese Vorstellungen ebenso wie gegen die Auffassung, die Zeit sei nichts anderes als die Himmelsrotation, und erst recht gegen Lehren (der Atomisten), wonach es mehrere Welten gäbe, was die Existenz mehrerer Zeiten zur Folge hätte. Für Aristoteles ist die Zeit ewig, ohne Anfang und Ende, aber unselbständig, aufs engste mit dem Begriff der Bewegung verknüpft, ohne mit diesem identisch zu sein. Seine Definition macht dies deutlich:
Die Zeit ist die Zahl der Bewegung hinsichtlich des Früheren und des Späteren (Phys. IV 11, 219 b 1).
    Das Wort «Zahl» bedeutet dabei nicht, dass die Zeit aus Zahleinheiten bestünde, sondern dass sie zählbar ist, und zwar durch den Menschen. Damit kommt ein subjektives Moment in den Zeitbegriff hinein. Ebenso wie es Bewegung nur an Dingen gibt, existiert die Zeit nur in Relation zum Menschen, der die Zeit als Folge von Minuten, Stunden und Tagen erfährt und seine Zeiterfahrung in Vergangenheit und Gegenwart projizieren kann. Die Zeit ist in der menschlichen Seele verankert. Der Mensch hat ein Zeitbewusstsein, mit dem er

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