Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)
die «Qualitätsveränderung» bzw. das «Anderswerden» vom «Entstehen». Das Werden eines Menschen oder die Entstehung eines Hauses bedeuten kein «Anderswerden» des Menschen oder des Hauses. «Anders» wird immer nur der zugrundeliegende Stoff (Phys. VII 3). In der Diskussion über die Ewigkeit der Bewegung betont Aristoteles immer wieder polemisch – vor allem gegen Platon (z.B. Phaidros 245 C ff.) –, dass es keine Selbstbewegung gibt.
Wie aktuell die Debatte um Selbstbewegung und Fremdbewegung damals war, zeigt auch die Ausführlichkeit und Intensität, mit der Aristoteles die ja zu beobachtende (scheinbare) Selbstbewegung der Lebewesen erörtert. Bei den anorganischen Gegenständen ist deutlich, dass sie sich nicht von allein in Bewegung setzen können, sondern eines äußeren Anstoßes bedürfen. Anders bei den Lebewesen:
Manchmal vollzieht sich in uns gar keine Bewegung, sondern wir sind in völliger Ruhe. Dann aber setzen wir uns mit einem Mal in Bewegung und der Anfang der Bewegung entspringt in uns und aus uns selbst, ohne dass von außen eine Bewegung verursacht wird. Wenn dies aber beim Lebewesen möglich sei, was hindert uns daran anzunehmen, dass das Gleiche auch in Bezug auf das Weltall eintreten könne? Denn wenn so etwas im Mikrokosmos eintritt, warum nicht auch im großen (Kosmos)? (Phys. VIII 2, 252 b 18–27)
Der Abschnitt ist auch deshalb interessant, weil mit der Nennung der Analogie von Mikrokosmosund Weltall auf die entsprechende Konzeption verwiesen ist, die eine Generation vor Aristoteles Demokrit in einem Werk mit dem Titel: Mikrokosmos vertreten hat, nach dem der Mensch als Abbild des Weltalls eine genau entsprechende Welt im Kleinen darstellt. Aristoteles kombiniert diese Position mit der Auffassung Platons von der Selbstbewegung der Seele und tut sich sichtlich schwer mit der Widerlegung. Er erörtert das Verhältnis von Selbstbewegung und Fremdbewegung und kommt zu einem beide Bewegungsarten übergreifenden natürlichen Bewegungsprinzip, das allen Dingen – belebten wie leblosen – gemeinsam ist. Dabei wird die scheinbare Selbstbewegung der Lebewesen, die Aristoteles als beobachtbare Realität bis zu einem gewissen Grade anerkennt, letztlich auch auf einen äußeren Anstoß zurückgeführt derart, dass das scheinbar sich selbst bewegende Lebewesen in der Ruhestellung einen von außen gegebenen Impuls als «Möglichkeit» (der Bewegung) in sich trägt.
Wie Platon und Demokrit sucht auch Aristoteles die physikalischbiologischen Einzelbewegungen mit dem kosmischen Bewegungssystem in Verbindung zu bringen. Dies geschieht aber nicht im Sinne einer vorgängigen Analogie zwischen Makro- und Mikrokosmos, sondern als logisches Postulat.
Will man in einer Kette oder Reihe von Gliedern, die sowohl bewegt sind als auch ein anderes bewegen, einen regressus ad infinitum (ein Zurückschreiten bis ins Unendliche) vermeiden, dann muss es ein «erstes Bewegendes» geben (Phys. VII 1, 342 a 53). Dieser Gedanke führt schließlich im achten und letzten Buch der Physik über die physikalische Welt der Bewegung und Veränderung hinaus in den metaphysischen Bereich, d.h. in die Zusammenhänge, die Aristoteles im zwölften Buch der Metaphysik dargestellt hat. Dabei vermeidet er es, den «ersten Beweger» hier «Gott» zu nennen und überhaupt seine transzendente Seinsweise näher zu charakterisieren. Nur dass er ohne Teile und ohne räumliche Ausdehnung ist, wird mitgeteilt. Aristoteles führt die Auseinandersetzung auf dem Boden der Physik, doch ist in der Sache die voll ausgebildete Lehre vom ersten, unbewegten Beweger im Hintergrund.
Für den Begriff der physikalischen Welt ist wichtig festzuhalten, dass der «erste Beweger» nicht zeitlich als ein «Erstes» verstanden werden darf. Aristoteles wird ja nicht müde, die Ewigkeit und damit Anfangslosigkeit der Bewegung zu betonen. Der Ausdruck «erster Beweger» ist also als vorrangig im ontologischen Sinn gemeint, von der nachrangig die ewige Kreisbewegung und von dieser alle anderen Formen der Bewegung und Veränderung abhängen ( Physik VIII 5–10).
R ESÜMEE UND A USBLICKE
Überblickt man die acht Bücher Physik , so fällt zunächst auf, dass es sich nicht um ein Werk aus einem Guss handelt, sondern um verschiedene Entwürfe zum gleichen Thema in unterschiedlichem Grad der Ausarbeitung. Die so zusammengestellten Abhandlungen sind stärker als die meisten anderen Teile des Werkes von lebhafter, teils bissiger Polemik durchzogen. Diese
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