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Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)

Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)

Titel: Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmut Flashar
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Polemik ist Ausdruck der Aktualität der Auseinandersetzung, in die hinein Aristoteles mit erheblichem Argumentationsaufwand seine Lehre von den Grundlagen der Physik in sich widerspruchsfrei darstellt.
    Wie stark Aristoteles inmitten einer lebhaften Diskussion sowohl in der Akademie als auch später im Peripatos stand, zeigen die Titel verlorener Schriften der anderen gleichzeitigen und etwas späteren Philosophen. Xenokrates hat eine in sechs Bücher eingeteilte Physik geschrieben; von Theophrast sind allein 19 Titel (verlorener) Schriften zur gleichen Thematik bekannt, darunter acht Bücher Physik , drei Bücher Über Bewegung und vor allem das große doxographische Werk Lehrmeinungen der Physiker , in dem die Lehren der früheren Denker über die Natur und ihre Prinzipien dargestellt waren. Theophrasts Nachfolger Straton trug den Beinamen «der Physiker». Er hat eine Reihe von Einzelschriften über Zeit, Bewegung und Vacuum geschrieben. Im Grunde sind es drei Konzeptionen, die damals in der Diskussion waren:
    1. Die Atomtheorie Demokrits. Danach gibt es das Volle und das Leere. Das Leere ist als leerer Raum zu denken; das Volle sind die Atome, die den Raum als Teilvolumina anfüllen. Die Atome sind unentstanden und unvergänglich. Sie sind «unteilbar» (a-toma). Größe, Gestalt und Lage der Atome sind der zureichende Grund für die Erklärung allen Wandels der Erscheinungen.
    2. Die Lehre Platons von der Mathematisierung der physikalischen Vorgänge ( Timaios 47 E – 57 D). Platon knüpft an die Lehre von den vier Elementen Feuer, Wasser, Erde, Luft an, die aber nicht die letzten Grundelemente alles Seins sein können, sondern auf immaterielle geometrische Raumgebilde zurückgeführt werden, und zwar auf die fünf regulären Körper, die man die «platonischen» nennt, die aber von dem damals bedeutenden Mathematiker Theaetet, Mitglied der platonischen Akademie, stammen, nach dem der Dialog Platons Theaetet benannt ist. Im Einzelnen ist es so, dass das Tetraeder (Pyramide) Urbild für das Feuer, das Oktaeder (Doppelpyramide) Urbild für die Luft, das Ikosaeder mit seinen zwanzig Flächen Urbild für das Wasser, das Hexaeder (Kubus) Urbild für die Erde und das Dodekaeder mit seinen zwölf regelmäßigen Flächen als Kubus Urbild für die allumfassende Kugel des Fixsternhimmels darstellen.[ 22 ]
    3. Die Lehre des Aristoteles von der Bewegung (Veränderung) der physikalischen Vorgänge in Zeit und Raum im Rahmen eines Kontinuum. Aristoteles lehnt sowohl die Atomtheorie Demokrits mit der Annahme eines leeren Raumes als auch die Mathematisierung der Physik durch Platon strikt ab.
    Diese Grundkonzeptionen haben in vielfältiger Weise die Ausbildung der neuzeitlichen und der modernen Physik beeinflusst, teils direkt, teils indirekt über viele Zwischenquellen.[ 23 ] Dabei ist der ganz unterschiedliche Status der Texte zu bedenken. Das Werk Demokrits ging am Ende der Antike verloren. Seine Atomlehre konnte daher nur aus den kritischen Referaten des Aristoteles und auch der Kirchenväter, die diese Lehre als gottlos verurteilten, rezipiert werden. Die Konzeption Platons steht in einem Dialog und wird dort wie ein Mythos als «wahrscheinliche Rede» vorgetragen. Nur im Falle des Aristoteles liegt eine unmittelbare und zugleich argumentative Abhandlung vor. Von ihr haben die Grundbegriffe wie Zeit, Raum, Bewegung, Kontinuum Eingang in die moderne Physik gefunden. Aber natürlich sind die Errungenschaften der Physik unserer Zeit mit Quantenmechanik, Relativitätstheorie, Elementarteilchenphysik, Feldtheorie von Aristoteles weit entfernt, mit der Entdeckung der Fallgesetze, des Wellencharakters der Materie und der Annahme des leeren Raumes auch in deutlichem Widerspruch zur aristotelischen Lehre. Das von Aristoteles so vehement bekämpfte Vacuum hat ein riesiges Forschungsfeld eröffnet. Es gibt eine Zeitschrift «Vacuum in Forschung und Praxis», die sich als «einzige deutschsprachige Fachzeitschrift für alle Bereiche der Vacuumtechnologie» versteht. Dabei spielen Observationen und Experimente eine ungleich größere Rolle als bei Aristoteles. Doch kommt es immer wieder vor, dass auch moderne Physiker eine Theorie entwerfen, die erst nachträglich durch Observation bestätigt wird. Von Albert Einstein stammen die Sätze: «Erst die Theorie entscheidet, was beobachtet werden kann» und: «Ehe Sie die Theorie haben, wissen Sie gar nicht, welche Größen die beobachtbaren sind.»[ 24 ] Diese Durchdringung von Empirie

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