Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)
längere. Denn für die einen ist das Jahr, für andere eine größere, für wieder andere eine kürzere Zeitspanne die Periode und damit das Maß (De gen. et corr. II 10, 336 b 9–15).
Verantwortlich dafür ist die Sonne, die auf diese Weise unter den Gestirnen eine besondere Bedeutung erhält, auch wenn sie entsprechend dem geozentrischen Weltbild nicht das Zentrum des Alls darstellt. Sie erzeugt durch ihr Nahekommen Werden und durch ihr Schwinden Vergehen, offenbar kraft der Wärmeeinstrahlung. Sie gliedert die Jahreszeiten und ist darüber hinaus durch ihren Umlauf Grundlage und Ursache für die Lebenszeiten der gesamten organischen und unorganischen Natur.[ 12 ] Aristoteles führt hier und an vielen anderen Stellen an, dass «die Natur» immer nach dem Besseren strebt und alles zum Besten einrichtet. Hier aber kommt überraschend Gott ins Spiel. Der Gedanke ist der, dass es von der translunaren Schicht an abwärts eine Abnahme an Sein gibt. Damit aber am Ende nicht ein leeres Nicht-Sein steht, hat «Gott» das Ganze aufgefüllt, indem er das unablässige Werden geschaffen hat (II 10, 336 b 27–33). Von welchem Gott ist hier die Rede? Vom unbewegten Beweger? Wohl kaum. Oder von einem platonischen Welteinrichter? Mir scheint, dass Aristoteles hier, aus der strengen Systematik heraustretend, sich gängiger und populärer Ausdrucksweise metaphorisch bedient. Aber es ist, streng genommen, ein Bruch im System. Denn Aristoteles sagt hier ausdrücklich, der Gott habe das ewige Werden «geschaffen»Das würde zu Platon passen, aber nicht zu seiner eigenen Konzeption. Diese Inkonsequenz müssen wir ihm zugestehen.
M ETEOROLOGIE
D IE E RDE
Eine Meteorologie als Spezialwissenschaft hat Aristoteles überhaupt erst geschaffen.[ 13 ] Sie ist eine Konsequenz der Scheidung zwischen der translunaren und der sublunaren Sphäre. In der frühen ionischen Naturphilosophie waren «die Dinge in der Schwebe»ta meteora), alle physikalischen Vorgänge zwischen Himmel und Erde überhaupt, Himmelskunde und Wetterkunde gleichermaßen. Über einzelne Phänomene aus dem Bereich der Meteorologie haben auch die früheren Denker geschrieben; Aristoteles setzt sich mit ihnen in seiner Meteorologie ausführlich auseinander. Von Diogenes von Apollonia (Zeitgenosse des Sokrates) ist sogar ein Schriftentitel Meteorologie, aber nichts von deren Inhalt überliefert. Aristoteles spielt in seiner Meteorologie mehrfach auf Diogenes an, ohne dessen Namen zu nennen. Die entsprechenden Anspielungen (Meteor. II 1, 353 b 6; II 2, 354 b 33; 355 a 22) lassen aber erkennen, dass es sich vornehmlich um Vorgänge des von Diogenes angenommenen Grundprinzips «Luft» handelt. Eine durchgestaltete Meteorologie war diese Schrift wohl kaum.
Aristoteles jedenfalls schränkt den Geltungsbereich der Meteorologie auf den Bereich des sublunaren Raumes, also der Erdatmosphäre, ein. Meteorologie und Kosmologie sind demnach getrennte Bereiche. Zu dieser Trennung hat auch geführt, dass man inzwischen durch mathematische Berechnungen, wie sie in der Akademie von Eudoxos von Knidos, Philippos von Opus und anderen angestellt wurden, etwas genauere Vorstellungen von der Entfernung der Himmelskörper von der Erde und deren Abständen untereinander gewonnen hat. So kann Aristoteles sagen, es liegen «jetzt mathematische Beweise vor», die dazu zwingen die «kindische Auffassung» aufzugeben, die Himmelskörper seien klein, weil sie uns bei ihrem Vorüberziehen klein vorkommen (Meteor. I 2, 339 b 33–36). Der Entdeckung der Größe der Himmelskörper entspricht eine Relativierung der Anschauungen über den Umfang der Erde. Die Kugelgestalt der Erde, welche man zunächst nur als eine große Scheibe ansah, war zwar in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts entdeckt worden, aber man hatte ganz übertriebene Vorstellungen von ihrer Größe im Verhältnis zu den Himmelskörpern. Noch Platon bezeichnet die Erde als «sehr groß» ( Phaidon 109 A), von der wir wie Ameisen oder Frösche um einen Sumpf nur einen ganz kleinen Teil kennen. Dagegen Aristoteles:
Ein bares Nichts sozusagen ist der Erdkörper – auf dem dann doch auch noch die ganze Wassermenge zusammengefasst ist – im Vergleich mit dem umgebenden All (Meteor. I 3, 340 a 7–9).
Es ist interessant zu sehen, wie Aristoteles, der allgemeinen Tradition folgend, an dem geozentrischen Weltbild festhält und doch die Erde selbst in ihrer zentralen Bedeutung ‹verkleinert›. Auf der anderen Seite wird die Erde auch
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