Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)
wieder aufgewertet, weil Aristoteles in ihr die Ursache und den Ausgangspunkt der Schichtung des sublunaren Raumes sieht. Es ist die eigentümliche Lehre von der doppelten Ausdünstungdie von der Erde ausgeht. Diese Lehre von der tellurischen Ausdünstung beansprucht Aristoteles als seine eigene Entdeckung. Sie kommt auch in seinen früheren physikalischen Schriften (noch) nicht vor. Die im ersten Buch der Meteorologie entwickelte Theorie ist die folgende. Es gibt eine trockene und eine feuchte Ausdünstung. Die trockene Ausdünstung ist eine warme Exhalation, die unter der Einwirkung der Sonne von der Erde zur obersten Schicht, also zum Feuerelement, aufsteigt und dort einen leicht entzündbaren Stoff, eine Art Zunderbildet. Die feuchte Ausdehnung ist ein Wasserdampfatmis), der seine Wirksamkeit in der «für Luft und Wasser gemeinsamen Region» (Meteor. I 9, 346 b 18) entfaltet. Das Wort «Atmosphäre» kommt übrigens weder bei Aristoteles noch überhaupt in der antiken Literatur vor, obwohl es doch von dem Wort «Atmis» («Dampf») abgeleitet ist. Der Schichtung der Elemente kraft ihrer natürlichen Bewegungen wird durch diese Theorie eine Komponente hinzugefügt, durch die Aristoteles sich in der Lage sieht, alle meteorologischen Erscheinungen zu erklären.
Dieses Gerüst ist zugleich ein Spiegelbild der Konzeption vom «Ersten Beweger», projiziert auf den sublunaren Raum. Die Erde ist eine Art unbewegter Beweger von unten. Sie tut selber nichts, ist aber doch Ursache für Bewegungen und Vorgänge in der Atmosphäre. Dadurch wird aber die Grenze zwischen dem sublunaren und dem translunaren Raum aufgeweicht, denn Aristoteles erklärt innerhalb dieses theoretischen Gerüstes Phänomene, die eigentlich in die translunare Sphäre gehören (Meteore, Kometen, Sternschnuppen) als meteorologische Vorgänge in der Atmosphäre. Im Einzelnen geschieht dies in einer stupenden Mischung von scharfer Beobachtung und kühner Konstruktion.
K OMETEN
Die Untersuchung geht von oben nach unten in der Weise, dass die meteorologisch relevanten Probleme entsprechend der Schichtung der Elemente diskutiert werden, zuerst im oberen sublunaren Raum (in der Feuersphäre also) mit den Phänomenen Sternschnuppen, Kometen, Milchstraße (I 3–8), dann in der Luftregion mit Erscheinungen wie Wolken, Regen, Schnee, Winde (I 9–13), sodann die mit Wasser und Erde verbundenen Naturphänomene wie Meer, Erdbeben (II 1–3; 7–8) und schließlich Erscheinungen unterhalb der Erdoberfläche (I 13).
Hier einige Beispiele:
Manchmal in klaren Nächten hat man den Anblick von mannigfachen Erscheinungen am Himmel, etwa von Klüften, Gruben und blutroten Stellen. Sie haben die gleiche Ursache. Es wurde ja klargestellt, dass die obere Luftschicht sich verdichten und Feuer fangen kann und dass die Entzündung manchmal den Eindruck einer Feuersbrunst, manchmal fliegender Fackeln und Sterne macht. Es ist auch gar nicht erstaunlich, wenn eben diese Luft, sich verdichtend, mannigfache Farben annimmt. Denn sowohl Licht, das durch ein dichteres Medium geschwächt hindurch scheint, als auch die reflektierende Luftschicht verursachen mannigfache Färbungen, vor allem Rot und Purpur (Meteor. I 5, 341 a 35–342 a 8).
Woran Aristoteles im Einzelnen gedacht hat, ist nicht eindeutig zu ermitteln. Entscheidend ist, dass siderische Phänomene heruntergestuft werden zu Vorgängen im sublunaren Raum, teils als reale Entzündung brennbaren Materials, teils als Feuerschein, der sich von oben her durch Luftmassen verschiedener Dichtigkeit zeigt. Auch Phänomene wie Kometen, Sternschnuppen und Milchstraße, so verschieden sie sind, werden auf die gleiche Ursache zurückgeführt, nämlich auf Reibungshitze in der oberen Schicht des sublunaren Raumes.
Zu Beobachtung und Systemkonstruktion tritt die Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Forschung. Denn über alle diese Phänomene gab es damals eine lebhafte Auseinandersetzung. Besonders deutlich wird das an der Theorie der Kometen. Aristoteles setzt sich dabei mit Anaxagoras, Demokrit, Hippokrates von Chios (er war seinerzeit ein bekannter Mathematiker) und dessen Sohn Aischylos auseinander. Er erörtert das Verhältnis von Kometen zu Planeten, über den Kometenschweif, über die Himmelsrichtung, in der Kometen aufgehen und sichtbar werden. Manche Beobachtung, die er mitteilt, hat er selber gar nicht angestellt, zum Beispiel:
Der große Komet zur Zeit des Erdbebens und der Flutwelle in Achaia ging im Westen auf; auch im
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