Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)
Süden gab es schon viele Kometen. Unter dem Archontat des Eukles, Molons Sohn, zu Athen erschien um die Wintersonnenwende im Monat Gamelion (Januar/Februar) ein Komet im Norden (I 6, 343 b 2–7).
Dieses Ereignis, verbunden mit einer der größten Naturkatastrophen des Jahrhunderts, lässt sich datieren auf 373/372. Aristoteles war damals elf Jahre alt und nicht in Athen. Er konnte es nicht gesehen haben, aber er konnte einige Jahre später Augenzeugen befragen. Seine eigene Theorie, wonach Kometen durch Reibung in der oberen Schicht der trockenen, leicht entzündbaren Ausdünstung entstehen, ist trotz aller Beobachtungen eine reine Konsequenz seines Systems. Er trennt die Kometen streng von den Planeten und will nachweisen, dass Kometen oft als isolierte Erscheinungen auftreten, weil er nur so an der Scheidung zwischen sublunaren und translunaren Raum und der Schichtung der Elemente festhalten kann. Entsprechend kämen Kometen häufiger vor, wenn das Jahr trocken und windig ist, weil dann eine Entzündung in der Feuer- und Luftschicht eher eintritt. Aristoteles erwähnt dafür ein beobachtetes Ereignis, wonach zur Zeit eines großen Sturmes in Korinth für ein paar Tage ein vorher unbekannter Komet zu sehen gewesen ist. Das Ereignis («unter dem Archon Nikomachos») lässt sich auf 341/40 datieren. Wiederum war nicht Aristoteles selber der Beobachter; er hielt sich zu dieser Zeit als Erzieher Alexanders am makedonischen Hof auf. Die Kometentheorie des Aristoteles, wonach das Erscheinen von Kometen mit der Erdausdünstung zusammenhängt, ist über Jahrhunderte tradiert worden, bis der dänische Astronom Tycho Brahe im 16. Jahrhundert die Sternsubstanz der Kometen entdeckt hat.
Ganz ähnlich erklärt Aristoteles die Milchstraße als eine durch viele Sterne vermittelte Entzündung der Luft, also durch Herabstufung der Himmelsphänomene auf den sublunaren Raum. Dass es sich um eine Zusammenballung zahlloser Sterne handelt, ist eine Galilei (um 1600) zu verdankende Erkenntnis.
Die ungeheure Differenzierung dieser und ähnlicher Phänomene in der modernen Forschung lässt die Theorie des Aristoteles geradezu als primitiv, wenn nicht lächerlich erscheinen. Was wir heute daran für beachtenswert halten, ist nicht das Ergebnis, sondern die Intensität des Forschens in der Kombination von Beobachtung, Augenzeugenbefragung, Auseinandersetzung mit der damals relevanten Forschung und Einordnung in ein in sich widerspruchsfreies Gesamtsystem.
N IEDERSCHLÄGE
Bei der Darstellung der meteorologischen Erscheinungen in den unteren Schichten des sublunaren Raumes (Meteor. I 9–III 1) trifft die Erklärung des Aristoteles viel öfter das Richtige, weil die Beobachtungen manifester und nachprüfbarer sind, wenn auch die Einordnung der Phänomene in das Gesamtsystem problematisch bleibt. Von der Breite der Forschung kann wohl schon eine bloße Aufzählung der behandelten Themen einen Eindruck vermitteln: Regen, Nebel, Wolken, Tau, Reif, Schnee, Hagel, Hydrologie der Erdoberfläche, periodischer Wechsel von Trockenheit und Feuchtigkeit auf der Erdoberfläche, Beschaffenheit des Meeres, Strömungen, Salzgehalt des Meeres, Winde, Windhose, Glutwind, Erdbeben, Blitz und Donner.
Die systematische Integration gelingt hier müheloser, so zum Beispiel bei der Erklärung der Niederschläge als Verdunstungsvorgänge, der Wolke als Verdichtung der Luft zu Wasser usw. Dabei gibt es zwischen einem Oben und einem Unten innerhalb einer Schicht oder im Verhältnis von Luft- und Wasserschicht analoge Vorgänge. Der Bildung des Schnees oben entspricht die des Reifs unten, der Bildung des Regens oben der des Taus unten (Meteor. I 11, 347 b 30–33). Hier bewährt sich die Schichtentheorie.
Große Mühe gibt sich Aristoteles mit der Erklärung des Hagels (I 12), weil hier ein paradoxes Phänomen vorliegt. Denn Hagel ist zu Eis gefrorenes Wasser, Hagelschlag kommt aber kaum im Winter vor. Und wie soll man sich den Gefriervorgang oben in der Luft vorstellen? Denn ein Gefrieren ist erst möglich, wenn Wasser da ist und Wasser kann sich doch nicht in der Luft in der Schwebe halten. Man spürt in der Darstellung des Aristoteles die schwer erklärbare Unheimlichkeit eines heftigen Hagelschlags.
Man hat schon oftmals Hagelwolken beobachtet, die mit Getöse unmittelbar über die Erde dahinjagten, so dass, wer es hörte und sah, erschrak und etwas noch Unheimlicheres erwartete. Man hat aber auch schon Wolken gesehen, ohne dass ein Geräusch auftrat. Dann
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