Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)
Beschaffenheit zukommt. Als eine solche gestaltlose Materie ist das (unselbständige) Prinzip der Erhaltung von Kraft und Veränderung bei allen Körpern anzusehen.[ 10 ] Die Materie ist dann der Urgrund für das Gleichgewicht der Kräfte im physikalischen Geschehen. Sie ist gleichsam der Kitt, der alle Kräfte und Elemente zusammenhält, der Garant für alles Entstehen und Vergehen. Darin liegt die «Mächtigkeit der Materie» (Buchheim 2010, 456), wobei wir uns von dem lateinischen Begriff materia und dem daraus gebildeten Wort «Materie» lösen müssen, dessen Bedeutungsnuance doch etwas anders ist als die aristotelische «Hyle». Mit der Vorstellung von «Holz», etwa Holzverstrebungen zum Zusammenhalt von Teilen eines Körpers, kommt man der Konzeption des Aristoteles vielleicht etwas näher. Festzuhalten bleibt, dass es für Aristoteles eine reine, von den Dingen abgelöste Materie nicht gibt und sie, wenn es sie gäbe, unerkennbar wäre.[ 11 ] Materie gibt es also nur in den Körpern.
Für die «einfachen Körper» (die vier Elemente also) entwickelt Aristoteles im zweiten Buch der Schrift Über Entstehen und Vergehen eine eigenartige Schichtentheorie (II 2–11), die den sublunaren Raum in der Zuordnung der Elemente in den Grundqualitäten Kalt, Warm, Feucht, Trocken als jeweilige Gegensätze gliedert.
Die natürlichen Bewegungen im sublunaren Raum gehen entweder steigend nach oben oder fallend nach unten. Dies trifft zunächst zu auf Feuer als leichtes, zentrifugales, aufsteigendes Element und auf Erde als schweres, zentripetales, fallendes Element. Der sublunare Raum wird nun so eingeteilt, dass sich insgesamt vier vertikale Schichten ergeben, indem zwischen Feuer und Erde als relativ leichtes Element Luft und als relativ schweres Element Wasser gestellt werden. Diesen vier Elementen werden nun die vier Grundqualitäten zugeordnet und zwar so, dass jedes Element von je zwei der vier Grundqualitäten Trocken, Feucht, Kalt, Warm bestimmt ist, wobei jeweils ein Element dominant ist. Das ergibt sich aus den möglichen Paarungsverhältnissen der Grundqualitäten. Warm und Kalt können jeweils mit Trocken und Feucht verbunden werden, so dass sich folgende Entsprechungsverhältnisse zu den Elementen ergeben: Feuer ist mit Warm und Trocken, Luft mit Warm und Feucht, Wasser mit Kalt und Feucht, Erde mit Kalt und Trocken verbunden. Unter den Grundqualitäten unterscheidet Aristoteles noch einmal zwischen zwei aktivendem Warmen und dem Kalten, und zwei passivendem Trockenen und dem Feuchten.
Damit ist schon angedeutet, dass die Elemente und ihre Eigenschaften unter den realen Bedingungen des Lebens in der Welt nicht rein vorkommen, sondern nur in ständiger Mischung und Wandlung, wobei alle gemischten Körper stets alle vier Elemente enthalten. Aristoteles exemplifiziert das am Beispiel der Nahrung, die aus allen Elementen und Qualitäten besteht wie das Genährte. Selbst die Pflanzen werden nicht nur durch Wasser genährt, weil dem Wasser Erde (Dünger) beigemischt ist, weshalb «die Bauern ja auch Mischungen herstellen, um zu gießen» (II 8, 335 a 14).
Die ständigen Wandlungen der Elemente und Qualitäten vollziehen sich am leichtesten im Kreislauf (II 4, 331 b 4) in der Reihenfolge der jeweils benachbarten Elemente, zu denen es jeweils ein «Brückenprofil»Übersetzung von Buchheim) gibt, also eine jeweils zwei Elementen gemeinsame Qualität. So sind – unter den natürlichen, also nicht künstlich hergestellten Bedingungen – Luft und Feuer heiß, Feuer und Erde trocken, Erde und Wasser kalt, Wasser und Luft feucht. Auf diese Weise ergibt sich ein Kreislauf, bei dem die Wandlungen der Elemente ineinander den ewigen Kreislauf der Gestirne «nachahmen» (II 10, 337 a 3), wie Aristoteles hier durchaus im Sinne Platons bemerkt.
Damit kommt in den Schlusskapiteln der Schrift Über Entstehen und Vergehen (II 10–11) der Grundsatz der Teleologie wieder zur Geltung. Sie manifestiert sich in der Unablässigkeit des Werdens und in dem periodischen Wandel von Werden und Vergehen in der Natur. Die Periodizität ist für Aristoteles von entscheidender Bedeutung für die Ordnung von Natur und Mensch.
Von daher haben sowohl die Zeiten wie auch die Lebensläufe eines jeden eine Zahl und werden durch sie bestimmt. Denn für alle Dinge gibt es eine Ordnung, und jede Zeit und jeder Lebenslauf wird durch eine Periode gemessen, nur nicht alle durch dieselbe, sondern die einen durch ein kürzere, die anderen durch eine
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