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Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)

Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition)

Titel: Aristoteles: Lehrer des Abendlandes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hellmut Flashar
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fällt manchmal starker Hagel mit unglaublich großen Körnern, die keine runde Form aufweisen. Ihr Fall dauerte nämlich nur kurze Zeit, weil die Eisbildung in Erdnähe geschah. Es muss die Bildung großer Hagelkörner von der eigentlichen Ursache des Gefrierens her kommen. Denn Hagel ist Eis, das kann jeder sehen, und groß sind diejenigen Hagelkörner, die keine regelmäßige runde Form haben. Das ist ein Zeichen für ihre Erdnähe; denn die Hagelkörner, die von weither kommen, bröckeln auf ihrem langen Flug ringsum ab und werden dadurch rund von Gestalt und kleiner von Umfang (Meteor. I 12, 348 a 24–37).
    Aristoteles erklärt das Phänomen durch die eigentümliche Lehre von der Antiperistasis, auf die er auch in der Physik Bezug nimmt (Phys. IV 8, 215 a 15; VIII 10, 267 a 16). Dieser offenbar von Aristoteles geprägte Begriff (wörtlich: «gegenseitiges Herumstellen») meint, dass ein Stoff auf einen anderen einen solchen Druck ausübt, dass beide ihre Plätze tauschen. Für die Hagelbildung bedeutet dies konkret, dass Kälte innerhalb der Wolken durch Wärmeeinwirkung von außen sich zusammenzieht, wodurch Wasser zu Hagel wird, und zwar dann, wenn die Verfestigung sich zu schnell vollzieht, als dass das Wasser als Regen fallen könnte. Die Erklärung ist insofern richtig, als in der Tat Hagel durch unterkühltes Wasser in einer Gewitterzelle entsteht. Aristoteles sagt übrigens nichts über Hagelschäden, die heutzutage ganz im Vordergrund des Interesses stehen.
    H ISTORISCHE G EOLOGIE
    Weit über das Meteorologische im engeren Sinn hinaus geht die hochinteressante erdgeschichtliche Skizze (Meteor. I 14). Es ist ein Stück historischer Geologie, deren Parameter die Grundqualitäten Trocken, Feucht, Warm und Kalt sind. Auf sie werden die langfristigen Veränderungen der Erdoberfläche zurückgeführt. Aristoteles urteilt wiederum als Biologe, wenn er dem Erdinneren wie den Körpern von Lebewesen und den Pflanzen «Lebensblüte»und Alter zuschreibt (I 14, 351 a 27–29).
    Er sieht darin eine «periodische Ordnung» (I 14, 351 a 26), deren Abläufe vor allem von der Sonneneinstrahlung bewirkt werden. Es sind nicht nur die kurzzeitig zu beobachtenden Gezeiten – Ebbe und Flut –, sondern langfristige Veränderungen von Festland und Meer, allmähliches Versiegen von Flüssen, Anschwemmungen, Überflutungen.
Weil aber das ganze Naturgeschehen sich am Erdkörper nur langsam auswirkt und in Zeiträumen, die unserem Leben gegenüber riesig sind, kommt es eher zum Untergang und Verderben ganzer Völker, ehe eine Überlieferung von diesen Vorgängen zu uns gelangt, von ihrem Anfang und ihrem Ende. Das größte und rascheste Völkersterben verursachen die Kriege, sodann Seuchen und Hungersnöte (Meteor. I 14, 351 b 9–14).
    Naturgeschehen und Menschheitsgeschichte werden miteinander in Beziehung gesetzt, aber so, dass sie disproportional zueinander verlaufen. Die Lebensdauer ganzer Völker ist zwar lang, aber nicht so lang wie die geologischen Veränderungen der Natur. So ist «Homer noch jung im Vergleich zu solchen Veränderungen» (I 14, 351 b 35). Aristoteles ist an dem allmählichen Prozess des Verfalls von Völkern und Naturgegebenheiten interessiert. Als ein Beispiel dafür führt er auch die allmähliche Abwanderung ganzer Bevölkerungsgruppen an, wenn der Boden durch Austrocknung die Menschen nicht mehr zu ernähren vermag. Dieser Prozess verläuft so langsam, dass er zunächst unbemerkt bleibt.
Denn die einen verlassen das Land, die anderen halten so lange aus, bis der Boden überhaupt keinen Menschen mehr zu ernähren vermag. Man muss also mit großen Zeiträumen zwischen der ersten und der letzten Auswanderungswelle rechnen, so dass keine zusammenhängende Überlieferung bleibt, sondern noch zu Lebzeiten der letzten Siedler verlorengegangen ist (I 14, 351 b 17–22).
    Aristoteles führt als Beispiel für einen solchen Wandel Argos und Mykene an. Zur Zeit des troischen Krieges sei das argivische Gebiet sumpfig gewesen und hätte nur wenige Menschen ernähren können, während Mykene fruchtbar und daher damals auch mächtiger gewesen sei. Jetzt hingegen sei es genau umgekehrt: Mykene ist völlig trocken geworden (wovon sich jeder Besucher auch heute überzeugen kann) das argivische Land aber anbaufähig und fruchtbar (wovon bis heute die blühende Argolis zeugt).
    Nur in einer kurzen Andeutung geht Aristoteles auf die sogenannte deukalionische Sintflut ein (I 14, 352 a 34). Deukalion, Sohn des Prometheus,

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