Arkadien 01 - Arkadien erwacht
Schreibtisch überhaupt? An einem Ort im Haus der Dallamanos, von dem Cesare bis heute nichts ahnte? Iole aber musste dort gewesen sein, unmittelbar vor ihrer Entführung.
Im Augenblick gab es nur einen Menschen, der ihr darauf eine Antwort geben konnte.
»Glauben Sie, dass die Unterlagen immer noch dort sind?«, flüsterte sie. »In der Villa Ihres Bruders?«
»Ja. Aber dorthin kann ich nie wieder zurück, ohne dass sie mich in kürzester Zeit finden und töten würden. Glaubst du, sonst hätte ich nicht schon längst nachgesehen?«
»Ich könnte gehen«, presste sie hervor. »Ich könnte nach den Papieren Ihres Bruders suchen. Und nach den Koordinaten.«
»Ja«, sagte er nach langem Schweigen. »Möglicherweise könntest du das tun.«
Versprechen
A uf dem Rückflug mussten sie einmal mehr in Rom zwischenlanden, nur um dort zu erfahren, dass ihr Anschluss nach Catania ersatzlos gestrichen worden war. Die Fluglotsen streikten noch immer und es gab keine Möglichkeit, in dieser Nacht zurück nach Sizilien zu gelangen.
Als der Morgen dämmerte, erwachte Rosa auf den Plastikstühlen in der Flughafenhalle. Lautsprecherstimmen rissen sie aus konfusen Träumen. Sie lag mit angezogenen Knien quer über zwei Stühlen, den Kopf auf Alessandros Oberschenkel. Er hatte im Sitzen geschlafen, war bereits wach und lächelte mit dunklen Augenringen auf sie herab. Dann küsste er sie sanft auf ihr zerstrubbeltes Haar und murmelte etwas Unromantisches von Wegwerfzahnbürsten aus Automaten, drüben auf den Toiletten.
Drei Stunden später landeten sie in Catania, suchten gar nicht erst im Parkhaus nach dem Wagen der Carnevares, sondern nahmen sich einen Mietwagen.
Die Fahrt an der Küste hinunter nach Syrakus dauerte eine knappe Stunde und jetzt endlich, nach hundert Versuchen, erreichte sie Zoe.
Ihre Schwester klang schrecklich, ihre Stimme war nur ein Flüstern und einen Augenblick lang fürchtete Rosa, sie sei ebenfalls von Cesares Männern verschleppt worden.
»Geht es dir gut?«, fragte Zoe. »Was ist denn nun passiert?«
»Ich bin in Ordnung.«
»Ist Alessandro Carnevare bei dir?«
Sie sah keinen Sinn darin zu lügen. »Ja.«
»Lilia ist tot.«
Rosa ballte die Fäuste. Über ihre Lippen kam kein Ton.
Ein anderer Zeitpunkt, ein anderer Ort: Auch damals hattensie miteinander telefoniert. Zoe hatte sie angerufen, nachdem Rosa die Klinik verlassen hatte. Wie unendlich leid es ihr tue, hatte sie gesagt, aber dass Rosa den Schmerz und die Trauer bald vergessen werde. Alles werde wieder gut.
Aber nichts war gut geworden. Rosa hatte ihre Schwester für ihren oberflächlichen Trost gehasst, so wie sie jeden gehasst hatte, der ihr gut zugeredet hatte. Mitleid. Beileid. Das alles hatte für sie einen schalen Geschmack angenommen, den sie anderen seither ersparen wollte.
»Sie behaupten, du hast Tano Carnevare erschossen«, sagte Zoe.
»Nein. Lilia hat das getan. Für mich. Deshalb hat Cesare sie umgebracht.«
Ein langes Schweigen am anderen Ende.
»Zoe?«
Ihre Schwester begann zu weinen.
»Lilia hat mir alles erzählt«, sagte Rosa leise. »Ich weiß Bescheid.« Sie lauschte dem Schluchzen ihrer Schwester und verfluchte sich, weil sie nichts Tröstliches über die Lippen brachte. Dann spürte sie Alessandros Finger an ihrem Handrücken und griff blindlings danach.
Im Hintergrund erklang die Stimme Florindas. Leise und erschreckend hart. Zoe bekam sich mühsam wieder unter Kontrolle. »Florinda will mit dir sprechen«, sagte sie, zögerte kurz und dann fügte sie hinzu: »Du darfst nicht nach Hause kommen! Das Tribunal der Dynastien wird –« Sie brach ab, es raschelte lautstark, dann fragte Florinda: »Rosa, geht es dir gut?«
»Ja. Tolles Wetter.«
»Zoe sagt, sie hat dir alles erzählt. Aber, glaub mir, sie hat dir eben nicht alles erzählt. Es gibt noch etwas, das du wissen musst.«
»TABULA«, sagte Rosa mit belegter Stimme, »nicht wahr?«
»Ich weiß, was Cesare behauptet«, entgegnete Florinda nach einem Augenblick der Stille. »Es sind seit Jahren die ewiggleichen Vorwürfe. Er ist so verdammt fantasielos in seiner Abneigung.«
»Ist es denn wahr?«
»Cesare lügt, sobald er den Mund aufmacht. Er behauptet vieles – zum Beispiel, dass du seinen Sohn erschossen hast.«
»Ich hätte es getan, wenn ich die Waffe gehabt hätte und nicht Lilia.«
»Wo bist du jetzt?«
»Wieso willst du das wissen?«
» Wo , Rosa?«
»Im Auto. Ich muss noch was erledigen, dann komme ich nach Hause.«
»Du vertraust
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