Arkadien 01 - Arkadien erwacht
als zuvor: »Warum will er Iole töten? Er hatte sechs Jahre Zeit dazu und hat es nicht getan.«
Was sollte sie darauf antworten? Wusste er von den Arkadischen Dynastien? Hatte er aus seinem Fund am Meeresboden Rückschlüsse auf die Geheimnisse ziehen können, die manche der sizilianischen Mafiaclans hüteten?
»Er will sie opfern«, sagte sie und dann besann sie sich auf die Lüge, die sie sich während der Autofahrt zurechtgelegt hatte. »Er vermutet, dass Sie nicht mehr am Leben sind, weil er Sie in all den Jahren nicht gefunden hat. Nun will er den anderen Bossen beweisen, dass er mit den Dallamanos ein für alle Mal aufgeräumt hat. Darum wird er Iole vor den Augen dieser Männer und Frauen töten. Um zu zeigen, dass er konsequent ist, und um ihren Respekt zu gewinnen. Cesare hat die Carnevares davon überzeugt, dass er ein besserer capo für sie ist als Alessandro, und jetzt braucht er die Unterstützung der übrigen Familien. Die soll ihm die endgültige Auslöschung aller Dallamanos sichern.« Klang das glaubhaft für jemanden, der jahrzehntelang selbst ein hochrangiges Mitglied der Cosa Nostra gewesen war?
Es war kalt am Grund des Schachts. Aus der Tunnelöffnung in Dallamanos Rücken blies ein eisiger Luftzug. Sie konnte das Rasierwasser riechen, das er trotz seines Vollbarts benutzte, und sie wunderte sich darüber.
Endlich fragte er: »Was genau habt ihr vor?«
Ihr ganzer Körper war angespannt, ihre Glieder, alle ihre Sinne, selbst ihre Augäpfel schmerzten. »Wenn ich weiß, was Cesare unbedingt vor allen anderen geheim halten will, dann kann ich ihm ein Geschäft vorschlagen.«
»Er wird dich töten.«
»Vielleicht wird er es versuchen. Aber vielleicht gelingt es ihm nicht.«
»Bist du nun mutig oder schrecklich naiv?«
Sie machte einen Schritt auf ihn zu ins Dunkel, straffte sich und nahm seine Nähe noch intensiver wahr. Unter dem Rasierwasser roch er wie ein Tier.
»Was haben Sie damals gefunden?«, fragte sie. »Was ist es, das Ihr Bruder und Sie entdeckt haben?« Ihre Hand tastete nach dem Foto in ihrer Tasche, aber in der Finsternis würde er es ohnehin nicht erkennen. »Es hat mit den Aufnahmen vom Meeresgrund zu tun, oder? Mit den Bildern auf dem Schreibtisch Ihres Bruders.« Gefährliches Glatteis. Aber es gab jetzt kein Zurück mehr.
»Du weißt davon.« Nun klang er fast ein wenig erschöpft, als fiele mit einem Mal etwas von ihm ab, das er zu lange mit sich herumgetragen hatte. Sie war am Ziel. Sie hatte ihn.
»Ich hab die Statue gesehen«, sagte sie. »Ein Foto von Panther und Schlange. Iole hat es vom Schreibtisch ihres Vaters genommen, bevor sie von Cesares Männern verschleppt wurde. Sie sagt, da waren noch mehr davon.«
Er nickte kaum wahrnehmbar. »Was weißt du noch?«
»Nichts weiter«, antwortete sie aufrichtig. »Nur, dass Sie und Ihr Bruder diese Bilder gemacht haben.«
»Es war nicht nur die eine Statue.«
In ihre Erregung mischte sich Enttäuschung. Wenn es am Meeresgrund Statuen aller Arkadischen Dynastien gab, dann war das, was Alessandro und sie verband, womöglich nichts Außergewöhnliches.
»Trümmer«, sagte er. »Die Überreste mehrerer Standbilder, Schlangen und Panther in unterschiedlichen Posen.«
» Nur Schlangen und Panther?«
Dallamano nickte. »Nach dem Tauchgang war mein Bruder über alle Maßen aufgeregt. Er wusste augenscheinlich mehr darüber, als er mir verraten hat. Einen Teil der Bilder, zwanzig oder dreißig Aufnahmen, hat er zusammengepackt und ist damit zu den Carnevares gefahren. Aus irgendeinem Grund hat er angenommen, dass sie sich für unseren Fund interessieren könnten.« Er schnaubte bitter. »Am nächsten Tag sind sie gekommen. Haben alle getötet und Iole verschleppt.«
»Alle bis auf Sie.«
»Ich war draußen auf See, mit einem unserer Schiffe. Ich erhielt eine Nachricht von Ruggero. Er konnte mir nur noch den Namen der Richterin nennen und sagte, ich solle sie kontaktieren – und das hätte er nicht getan, wenn die Sache nicht todernst gewesen wäre. Ich bin nie wieder nach Sizilien zurückgekehrt, sondern versuchte sofort von der Bildfläche zu verschwinden. Recht schnell erfuhr ich, was geschehen war. Ich wandte mich an Quattrini und wurde zu ihrem Kronzeugen. Erst in der Haft erhielt ich die Nachricht, dass Iole noch lebte. Sie schickten Fotos von ihr in Ketten und sagten, dass sie sterben würde, wenn ich entweder über die Carnevares reden oder auch nur mit einem Wort unseren Fund erwähnen würde. Außerdem
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