Arkadien 01 - Arkadien erwacht
Stelle kehrtzumachen.
»Es tut mir leid«, sagte er. »Aber ich kann mich nicht auf dein Wort verlassen. Du könntest von Kopf bis Fuß verkabelt sein.«
»Sie fassen mich nicht an!« Sie wich vor ihm zurück, bis sie wieder zwischen den Säulen des Treppenaufgangs stand.
Dallamano bewegte sich nicht. »Ich werde dich selbstverständlich nicht zwingen. Wir müssen nicht miteinander reden.«
Sie holte tief Luft, biss die Zähne zusammen und ging langsam auf ihn zu. Wieder diese Erinnerungen, die vielleicht gar keine waren: fremde Hände auf ihrer Haut, Finger, die sie von oben bis unten erforschten. Ein heftiger Würgereiz stieg in ihr auf und plötzlich schmeckte sie bittere Galle auf der Zunge. Hastig wandte sie den Kopf ab und spuckte aus.
»Tut mir leid«, sagte er noch einmal.
Sie drehte sich wieder zu ihm, versuchte möglichst ungerührt zu erscheinen und trat vor. Zögernd hob sie die Arme. Hielt die Luft an. Erwartete seine Berührung.
Er ging schnell und professionell vor, wie beim Sicherheitscheck am Flughafen. Innerhalb weniger Sekunden hatte er sich vergewissert, dass sie nicht für eine Aufzeichnung ihres Gesprächs präpariert war.
»Danke«, sagte er und trat ein paar Schritte zurück in die lichtlose Tunnelmündung. »Du kannst dort bleiben, wenn du willst, oder hierher kommen, falls du nicht das Risiko eingehen willst, dass dich jemand von oben beobachtet.«
Sie blieb stehen.
»Wie geht es Iole?« Zum ersten Mal klang seine Stimme weicher.
»Für jemanden, der sechs Jahre eingesperrt war, geht es ihr recht gut, glaube ich.«
»Diese Dreckskerle.«
»Sie wurde zuletzt auf einer Insel festgehalten, in einer verlassenen Villa. Alessandro hat sie auf eigene Faust dort weggeholt. Sie hat uns erzählt, dass sie noch einen letzten lebenden Verwandten hat – Sie, Signore Dallamano –, und Alessandro hatte vor, Iole zu Ihnen zu bringen.«
»Keine gute Idee«, flüsterte er.
»Sie wollen sie nicht sehen?«
Im Dunkeln konnte sie sein Gesicht nicht erkennen, nur den Umriss seines wirren Haars. »Ich würde meine rechte Handdafür geben. Aber es geht nicht. Es gibt ein paar Leute, die meine wahre Identität kennen … nicht viele, aber ich traue niemandem mehr. Nur der Richterin.«
Er machte eine kurze Pause. »Eigentlich bin ich längst tot. Augusto Dallamano existiert nicht mehr. Ich sehe nicht mal mehr aus wie er.«
Sie dachte an das Foto von ihm und seinem Bruder, den beiden lachenden Männern in Taucheranzügen. Erst hatte er seine Familie verloren, dann seine Ehre, seinen Namen, sein Gesicht und seine Vergangenheit.
Falls die Clans erfuhren, dass Rosa sich mit der Richterin getroffen hatte, mochte es ihr ebenso ergehen. Selbst wenn das Tribunal sie freisprach und Cesare davon abgehalten wurde, die Alcantaras auszurotten – selbst dann würde ihr Handel mit Quattrini für den Rest ihres Lebens als Damoklesschwert über ihr schweben. Ein Verrat an der Cosa Nostra war eine Blutschuld, die niemals verjährte.
»Du befürchtest, dass dir das Gleiche passieren könnte.« Er schien ihre Gedanken zu lesen. »Weil du hier bist und mit mir sprichst.«
Sie gab keine Antwort.
Dallamano stand noch immer reglos im Tunneleingang. »Wir gehen beide ein großes Risiko ein. Du tust das nicht nur, um mir von meiner Nichte zu erzählen, oder?«
»Iole ist gestern ein zweites Mal verschleppt worden«, sagte sie. »Cesare Carnevare hat herausgefunden, wo Alessandro sie versteckt hat, und diesmal wird er sie umbringen, wenn wir ihn nicht aufhalten.«
Nun war er es, der schwieg. Sie hörte seinen Atem, schneller als zuvor.
»Cesare will nicht nur Iole umbringen, sondern auch mich und meine ganze Familie. Florinda Alcantara, meine Tante … Sie kennen sie. Dann meine Schwester. Vermutlich alle, die für uns arbeiten.« Sie räusperte sich. »Wenn wir keinen Wegfinden, ihn zu stoppen, dann geschieht mit den Alcantaras das Gleiche wie vor sechs Jahren mit den Dallamanos.«
»Und warum sollte mich das interessieren?«
»Sie wissen etwas, vor dem Cesare Angst hat«, sagte sie. »Mit Ioles Entführung hat er Sie dazu gebracht, es zu verschweigen, vor der Richterin, während der Aussagen als Kronzeuge … Sicher, Sie haben denen eine Menge erzählt, aber nicht das eine . Und nichts, was die Carnevares belastet hätte.«
Er ließ sich Zeit mit seiner Erwiderung. Vielleicht dachte er nach. Womöglich kämpfte er auch nur seine Wut nieder. Als er schließlich sprach, klang seine Stimme gepresst und tiefer
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