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Arkadien 01 - Arkadien erwacht

Titel: Arkadien 01 - Arkadien erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Unterlippe und schwieg.
    »Also«, sagte er nach einem Moment, »wenn du etwas anfängst, dann solltest du es zu Ende bringen. Aber versuch trotzdem niemanden zu töten. Ein Mal kann ich dafür sorgen, dass das Tribunal zu Gunsten der Alcantaras entscheidet. Beim zweiten Mal dürfte das schon schwieriger werden.«
    »Was wollen Sie eigentlich von mir?«, flüsterte sie. »Erst sagen Sie, ich soll ruhig jeden über den Haufen schießen, den ich treffe. Dann wollen Sie, dass ich niemanden umbringe. Besonders hilfreich ist das nicht.«
    »Ich kann dir nicht deine Entscheidungen abnehmen. Tu, was du für richtig hältst. Das ist dir doch sonst immer so wichtig, nicht wahr?« Sie wurde den Eindruck nicht los, dass er sie auf die Probe stellte. »Deine beiden Freunde sind in den Ruinen eingesperrt. Was du vor dir siehst, ist nur ein Teil dessen, was vom alten Gibellina übrig ist. Auf der anderen Seite des Hügels, hangabwärts, stehen noch mehr zerstörte Häuser. Dort wirst du finden, was du suchst.«
    In der Ferne ertönte aggressives Gebrüll.
    Diese Laute hatte sie schon einmal auf der Isola Luna gehört. Löwen und Tiger. Streiften sie auch hier frei umher? Die Waffe schien sich in ihrer Faust zu erhitzen. Ihre Handfläche schwitzte am Metall.
    »Was ist das hier?«, fragte sie leise. »Diese Ruinen … Sieht aus wie ein Schlachtfeld.«
    »Es gibt zwei Gibellinas«, erklärte er ungeduldig. »Das neue, in der Nähe der Autobahn – und das alte Dorf obenin den Hügeln, dort, wo du jetzt bist. 1968 ist es bei einem Erdbeben zerstört worden. Statt es wieder aufzubauen, hat man zwanzig Kilometer weiter westlich Gibellina Nuova errichtet und die Überlebenden umgesiedelt. Am alten Standort gibt es nur noch Ruinen und Trümmer. Und das Monument.«
    Sie stand auf und versuchte einen Blick durch das Buschwerk zu erhaschen. Unmöglich. Sie musste weiter hinaus auf den Platz.
    »Ich kann’s von hier aus nicht sehen«, flüsterte sie.
    »Verschwende keine Zeit damit. Die Sonne geht bald auf und dann wirst du es sehr viel schwerer haben, dich unbemerkt zu bewegen.«
    »Ich schleiche jetzt zu den Ruinen hinüber.«
    »Tapferes Mädchen.«
    Sie schaute sich um, horchte noch einmal auf das ferne Raubtiergebrüll und lief los. Tief geduckt huschte sie durch das hüfthohe Gras, suchte immer wieder Schutz hinter Sträuchern und Gebüsch. Niemand war zu sehen. Dafür konnte sie jetzt zu ihrer Rechten einen Hang erkennen, der einige Dutzend Meter anstieg. Weiter oben sah sie ein Gehöft; sie war nicht sicher, ob es ebenfalls in Trümmern lag. Von weitem wirkte es heruntergekommen, aber bewohnbar. Dahinter, auf der nächsten Hügelkette, standen reglose Windräder. Ihre weißen Oberflächen schimmerten im Mondschein wie riesenhafte Knochen.
    Doch weder das Haus auf dem Hügel noch die fernen Windräder waren es, was sie jetzt in die Hocke gehen ließ. Mit angehaltenem Atem kniete sie zwischen knisternden Gräsern und starrte zum Hang hinüber.
    Das Monument von Gibellina lag keine hundert Meter entfernt, doch auf den ersten Blick konnte sie nicht einordnen, was sie dort vor sich sah.
    Aber sie verstand sofort, weshalb Cesare ausgerechnet hier auf Menschenjagd gehen wollte.

Die Ruinen
    E in Irrgarten.
    Ein weitläufiges, unüberschaubares Labyrinth aus Beton.
    Auf einer Fläche, mindestens so groß wie zwei Footballfelder, war der Berghang mannshoch mit einer Zementschicht bedeckt worden – als hätte jemand ein gigantisches graues Laken über den Boden gebreitet. Der Beton war von einem Gitternetz schmaler Schneisen durchzogen, die ihn in häusergroße Quader zerschnitten.
    Pantaleones Atem am Telefon rasselte in Rosas Ohr. »Du kannst es jetzt sehen, oder?«
    »Was soll das sein?«
    »Das ist der Grundriss des alten Dorfes. Die Schneisen kennzeichnen die ehemaligen Gassen und Straßen, die Betonblöcke dazwischen die Gebäude. Ein Künstler hat das Ganze in den Achtzigerjahren errichten lassen, in Erinnerung an den Ort, der hier untergegangen ist.« Der alte Mann stieß ein krächzendes Lachen aus. »Mit dem Geld, das dieser Unsinn verschlungen hat, hätte man anderswo ein paar anständige Häuser für die Überlebenden bauen können.«
    »An deren Bau die Cosa Nostra natürlich kein bisschen mitverdient hätte«, bemerkte sie spitz. »Sie sind so ein Menschenfreund.«
    »Du begreifst schnell, um was es geht, meine Liebe.«
    Sie hasste es, wenn er sie so nannte. Aber sie schluckte ihre Erwiderung herunter, riss den Blick von dem

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