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Arkadien 01 - Arkadien erwacht

Titel: Arkadien 01 - Arkadien erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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«
    Sie merkte ihm an, dass sie ihn überrumpelt hatte. Er sah fast ein wenig wütend aus.
    »Wir reden beide nicht gern über uns selbst«, stellte er fest. »Du auch nicht.«
    Sie zuckte die Schultern. »Was willst du hören?«
    »Ob es wahr ist. Dass du keine Angst hast.«
    Sie dachte an den verloren gegangenen Tacker. An die Sache von damals. »Heute nicht mehr«, entgegnete sie schließlich.
    »Ich schon«, sagte er. »Ich hab oft Angst.«
    »Vor diesem … Hungrigen Mann?«
    Er schüttelte den Kopf. »Hast du dich schon mal gefragt, wer in den Löchern in der Menge geht?«
    Sie blickte verwundert zu ihm hinüber. Vielleicht hatte sie sich getäuscht. Möglicherweise war er mehr als nur ein wenig seltsam.
    »Löcher in der Menge?«, wiederholte sie.
    »Wenn viele Menschen an einem Ort sind, hundert oder tausend oder noch mehr, bleiben trotzdem immer ein paar Flecken leer. Ganz vorne. Oder mittendrin. Außen am Rand. Man muss darauf achten, dann kann man es sehen.« Er schaltete einen Gang zurück, als vor ihnen zwei Lastwagen nebeneinanderfuhren. »Das sind die Löcher in der Menge. Und wenn man genau hinsieht, merkt man, dass sie sich bewegen. Genau wie die Menschen um sie herum.«
    Rosa presste die Lippen aufeinander und machte »Hm-hm«, als verstünde sie, was er da redete.
    »Sie sind unheimlich«, sagte er.
    »Die Löcher?«
    »Weil sie in Wahrheit nicht leer sind.«
    »So?«
    »Nein, sind sie nicht. Wir sehen nur nicht, wer da geht. Sie sind immer da, auch anderswo. Unsichtbar um uns herum. Nur die Menge macht sie sichtbar. Wo sie sind, da kann kein Mensch sein.« Sarcasmo nieste auf der Rückbank. »Auch kein Hund.«
    Ihre Augen verengten sich. »Du machst dich über mich lustig, oder? Was ist das – so ’ne Art Begrüßungsritual? Mal sehen, wie blöd das Blondchen ist?«
    Er zuckte zusammen, als hätte sie ihm einen Stoß in die Rippen versetzt. An die Stelle des Sättigungsgefühls, das sie viel zu freundlich und aufgeschlossen gemacht hatte, trat wieder die alte Streitlust.
    Sie wartete auf eine Antwort. Lange.
    »Tut mir leid«, sagte er schließlich.
    Und dann sprach er den Rest der Fahrt über kein Wort mehr.

Isola Luna
    D ie Motorjacht pflügte durch funkelndes Tintenblau. Die Tyrrhenische See, das Mittelmeer vor Siziliens Nordküste, erstreckte sich in sanften Wogen unter einem wolkenlosen Spätsommerhimmel. Der Kondensstreifen eines einsamen Flugzeugs zerfranste dort oben wie eine Luftspiegelung des Kielwassers hinter der Gaia .
    Die schneeweiße Vierzig-Meter-Jacht der Carnevares fuhr mit zehn Mann Besatzung nach Nordosten. Neben dem Kapitän und seiner Crew gab es einen Barkeeper, einen Koch und einen Steward. Die Isola Luna lag fünfzig Kilometer vor der Küste; sie würden gegen Mittag dort sein.
    Noch aber war vor dem Bug kein Land zu sehen. Abgesehen von einem winzigen Segel am Horizont schien es, als hätte die Gaia das Meer für sich allein. Drei Decks erhoben sich über der Wasseroberfläche, ein viertes lag darunter. Vom Sonnendeck mit seinem sprudelnden Jacuzzi und der verglasten Aussichtslounge dröhnte stumpfsinniger Italotechno hinab aufs Oberdeck. Tano Carnevare und die fünf jungen Männer und Frauen, die mit ihm an Bord gegangen waren, lungerten dort herum und hielten den Barmann und seinen Kellner auf Trab.
    Derweil saßen Alessandro und sie ein Deck tiefer auf der Terrasse am Heck der Jacht, vor den weit geöffneten Glastüren des Salons mit seinem Billardtisch und dem goldgerahmten Flachbildschirm.
    Sie hatten es sich in zwei Liegestühlen bequem gemacht und blickten hinaus auf das Meer und die sizilianische Küste, die weit hinter ihnen zurückgeblieben war. Die Sonne schien von Steuerbord aufs Deck, warmer Seewind spielte in Rosas langem Haar.
    Alessandro trug ein weißes T-Shirt, eine helle Sommerhoseund Sportschuhe. Obwohl sein nussbraunes Haar so viel kürzer war als Rosas, schien er nicht weniger Mühe zu haben, die wirbelnden Strähnen von seinen Augen fernzuhalten.
    »Du hattest Recht.« Sie atmete tief durch, während sie ihn über das Papierschirmchen ihres Cocktails hinweg ansah. »Und das sag ich nicht gern.«
    Sein Strohhalm flutschte zwischen seinen Lippen hervor. »Womit?«
    »Das ist wirklich die protzigste Angeberjacht, die ich jemals gesehen habe. Und in Brooklyn sieht man eine Menge davon. Manchmal. Im Fernsehen.«
    Er lächelte. »Mein Vater wusste, wie man Geld ausgibt. Meine Mutter hat die Einrichtung gehasst, all den Marmor und diese afrikanischen

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