Arkadien 01 - Arkadien erwacht
wollte, dass er etwas findet. Damit er nicht weiter sucht und auf die wichtigen Unterlagen stößt – die Mappen aus den Bildern, die für dich bestimmt waren.«
Alessandro nickte. »Schon möglich.«
»Du hast jetzt, was du gewollt hast«, sagte sie kühl. »Also sorgen wir dafür, dass sie nicht länger –«
»Natürlich!« Mit einem Mal lag wieder diese grimmige Entschlossenheit in seiner Stimme, wie vorhin, als er das Skalpell in der Hand gehalten hatte. »Tano wird über Iole Bescheid wissen. Am besten, ich fange bei ihm an.«
»Mir geht es hier nicht schlecht«, sagte Iole. Ihre Fingerspitzen huschten vor ihren angezogenen Knien umeinander wie die einer Klavierspielerin. »Das ist ein schönes Haus. Und tagsüber ist es immer hell hier drinnen. Nur nachts, wenn die Tiere kommen –«
»Ich kümmere mich darum«, unterbrach Alessandro sie. »Rosa, bleib du bei ihr.« Und damit stürmte er los, wurde sich im letzten Moment der Mappe mit den Dokumenten bewusst, überlegte kurz und kam dann zurück, um sie Rosa in die Hände zu drücken. »Pass du darauf auf, ja? Nur, bis ich die Sache erledigt habe.«
Sie wurde nicht schlau aus ihm, nicht mal ein bisschen. Das Einzige, was sie wusste, war, dass er sie laufend wütend machte, ganz gleich, was er auch tat. Erst nutzte er sie aus, dann spielte er sich auf und ließ sie stehen. Dennoch sollte sie schon wieder etwas für ihn tun. Bleib du bei ihr. Und: Pass du darauf auf. Dabei tat sie nie etwas für andere. Nicht, wenn es sich vermeiden ließ. Sogar mit ihrem Eintreten für Iole hatte sie sich selbst überrumpelt.
»Lauf ihm ruhig nach«, sagte das Mädchen und nun sah sie noch kleiner und verletzlicher aus, als umklammere sie der scheußliche Schalensessel wie eine Plastikfaust. »Mach dir keine Sorgen um mich.«
Ihm nachlaufen ? Rosa verschluckte sich fast beim Atemholen. Aber dann nickte sie knapp. »Warte ab, wir kommen dich bald holen, okay?«
»Werdet ihr das denn? Mich holen?«
Rosa wollte gerade loslaufen, die verdammte Mappe in der Hand, blieb aber noch kurz stehen, zögerte – dann trat sie vor Iole, streichelte ihr über den Kopf und sagte: »Ich versprech’s dir. Wir holen dich so schnell wie möglich hier raus.«
Iole blickte sie mit ihren großen Augen an, wie eine Zeichentrickfigur aus einer der Serien, die sie so gern mochte. »Dann passt auf die Tiere auf … Sie kommen nachts. Immer nachts.«
Rosa zwang sich zu einem aufmunternden Lächeln, dann eilte sie los. Sie presste die Dokumente an sich und verließ die Villa, überquerte den Vorplatz und folgte Alessandro die Stufen im Lavahang hinab zum Ufer. Er war entweder besonders schnell, ungeheuer zornig oder beides – jedenfalls war sein Vorsprung erheblich, sie sah ihn kurz unten an der Grotte, dann verschwand er aus ihrem Blickfeld.
Als sie den Strand erreichte, bot sich ihr ein Bild, das sie vorausgesehen hatte.
Alessandro hatte sich auf Tano gestürzt. Die beiden schlugen mit einer solchen Gewalt aufeinander ein, dass selbst die jungen Männer mit den Spiegelbrillen zurückgewichen waren und keinen Versuch unternahmen, den Kampf zu schlichten.
Rosa wurde langsamer und blieb in zwanzig Metern Entfernung stehen. Zu Hause in Brooklyn hatte sie viele Schlägereien mit angesehen. Was sie aber irritierte, war, dass keiner der Gegner ein Wort sprach. Als gäbe es nichts mehr zwischen ihnen zu reden, als wäre der Feind nicht einmal mehr Beschimpfungen wert. Langsam ging sie näher heran. Setzte einen Fuß vor den anderen, ganz weich im aufgeheizten Sand.
Tano trug keine Brille mehr, sie war einem von Alessandros Schlägen zum Opfer gefallen. Aber das allein war es nicht, wasihn ungewohnt aussehen ließ. Es waren seine Augen. Sie waren mit Dunkelheit gefüllt, mit zwei riesigen, das Weiß verschlingenden Pupillen. Genau wie Alessandros Augen vorhin im Atelier. Und als sie nun wieder ihn ansah, erkannte sie, dass auch sein Blick abermals tiefdunkel war. Sein Haar erschien ihr noch schwärzer als zuvor.
Die beiden Mädchen aus dem Wasser standen jetzt auf dem Strand ein Stück abseits, neben den Kisten mit Proviant. Die Dritte hatte sich in ihrem Liegestuhl aufgesetzt und hing mit starrem Blick an Tanos geschmeidigen Bewegungen. Die jungen Männer verfolgten das Geschehen noch immer regungslos. Nur der Kellner rief etwas, das den Streit schlichten sollte. Ein animalisches Fauchen aus Tanos Kehle ließ ihn verstummen.
Die beiden Kämpfenden umkreisten einander lauernd.
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