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Arkadien 01 - Arkadien erwacht

Titel: Arkadien 01 - Arkadien erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Tür zu Gaia Carnevares Studio.
    Rosa ging hinter ihr die Stufen hinunter, während Iole redete. Die silbernen Kettenglieder schleiften leise klirrend von Kante zu Kante. Alessandro folgte ihnen, die Mappe mit den Dokumenten mit beiden Händen umklammert. Die Skalpelle hatten sie oben zurückgelassen.
    »Wie lange bist du schon hier?«, fragte Rosa, als sie das Erdgeschoss erreichten. Die Treppe mündete in einen der Salons.
    »Hier auf der Insel über ein halbes Jahr«, sagte das Mädchen. »Vorher haben sie mich anderswo versteckt. Auf abgelegenen Bauernhöfen im Westen. Und irgendwo in den Bergen. Da gibt es Wölfe, haben sie gesagt.«
    Rosa sah zu Alessandro, dessen Blick immer düsterer wurde. »Ich hab nichts davon gewusst«, sagte er, als er die Frage in ihren Augen las.
    »Insgesamt ist es sechs Jahre her«, sagte Iole. »Zwei Monate. Und sieben Tage.«
    Rosa fluchte leise.
    »Damals haben sie mich aus dem Haus meiner Eltern geholt.« Iole blickte zu Boden. »Sie haben gesagt, dass sie alle tot sind. Meine Eltern. Meine beiden Brüder. Alle meine Onkel und ihre Familien. Alle bis auf einen.«
    »Es gab einen Dallamano-Clan in Syrakus«, erklärte Alessandro. »Ich weiß nicht, was passiert ist, aber –«
    Iole fiel ihm ins Wort. »Mein Onkel, Augusto … er hat mit einer Richterin zusammengearbeitet. Sie haben gesagt, er habe die Familien verraten. Viele sind verhaftet worden wegen ihm, auch welche, die für die Carnevares gearbeitet haben. Mein Onkel hat einen neuen Namen bekommen und lebt jetzt irgendwo im Ausland. Aber er weiß noch mehr, glauben die Carnevares – über sie und ihre Geschäfte. Sie halten mich gefangen, damit er es nicht erzählt. Wenn er das tut, bringen sie mich um, sagen sie. Sie glauben, dass er das weiß und deshalb nichts mehr verrät.«
    Ihr Tonfall ließ sie jünger erscheinen als fünfzehn. Rosa dachte daran, dass Iole seit mehr als sechs Jahren keine Schule besucht hatte. Sie hatte einen Fernseher, erzählte sie, und mochte am liebsten Zeichentrickserien. Rosa fragte sich, ob nur ihr Wortschatz unter der langen Geiselhaft gelitten hatte.
    »Sie – damit meinst du Cesare Carnevare und seine Leute?«, fragte Rosa.
    »Ja.« Iole ließ sich auf einem der orangefarbenen Plastikschalensessel nieder, zog die Knie an und legte die Arme darum. Die Kette klirrte wieder. »In der ganzen Zeit hab ich Cesare dreimal gesehen. Einmal ganz am Anfang, dann noch mal in den Bergen. Und zuletzt vor ein paar Monaten. Da war er hier und hat was gesucht.«
    Alessandro horchte auf. »Weißt du, was das war?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Aber am Ende hat er einen Tresor entdeckt, hinter einem der Bilder im Erdbeerzimmer.« Sie lächelte entschuldigend. »So hab ich es genannt, weil da ein Bild mit einem großen roten Fleck hängt, der wie eine Erdbeere aussieht. Ich hab allen Zimmern Namen gegeben. Auch den Tieren vor den Fenstern.«
    Rosa schaute zur Glasfront des Raumes, die den schrundigen Lavahang und das tintenblaue Meer überschaute. Keine Tiere weit und breit.
    »Was war in dem Tresor?«, fragte Alessandro.
    Rosa sah ihn vorwurfsvoll an. Er schien zwar Mitleid mit Iole zu haben, aber seine Rachegefühle für Cesare überschatteten alle anderen Empfindungen. Rosa spürte, wie die Wut von vorhin zurückkehrte. Der sonderbare Gefühlstaumel, der oben im Atelier über sie hereingebrochen war, verschwand allmählich. Sie hatte sich mitreißen lassen, hatte die Kontrolle verloren. Das war schlecht.
    Genau so, wie er sie ausgenutzt hatte, interessierte ihn nun auch an Iole vor allem das, was sie über seinen Feind im Carnevare-Clan wusste. Rosa schob sich zwischen ihn und das angekettete Mädchen. »Lass sie in Ruhe. Wir müssen uns überlegen, wie wir sie hier rausholen.«
    Er starrte sie an, als wäre das eine vollkommen abwegige Idee. Dann schüttelte er den Kopf. »Wenn Cesare erfährt, dass wir ihr begegnet sind, wird er sich zusammenreimen, dass wir etwas gefunden haben.«
    Rosa machte einen drohenden Schritt auf ihn zu. »Wir hauen einfach ohne sie ab? Das meinst du nicht ernst, oder?«
    »Papiere«, sagte Iole in ihrem Rücken. »In dem Tresor waren Papiere. Und Fotos. Cesare sah ziemlich zufrieden aus.«
    Alessandro fluchte.
    »Das war wertloses Zeug«, sagte Rosa. Und noch ehe er sie erstaunt ansah, wurde ihr klar, dass sie das gesagt hatte, ohneüberhaupt nachzudenken. Aber es war nur logisch. »Deine Mutter hat sie ja nicht mal versteckt. Ich meine, in einem Tresor ? Ich glaube, sie

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