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Arkadien 01 - Arkadien erwacht

Titel: Arkadien 01 - Arkadien erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Sprühmasse abgedichtet worden, die wieein Geschwür ins Innere gequollen war. Daraus ragte eine Wasserleitung hervor, die in einen Trog reichte.
    Die Löwin hieb erneut gegen die Gittertür. Rosa fuhr zusammen. Spätestens wenn der Aufseher mit seinen Schlüsseln auftauchte, war sie hier nicht mehr sicher. Aber es gab auch keinen Weg hinaus. Sie hatte sich selbst in die Falle manövriert.  
    Draußen ertönte der Schrei eines Menschen. Wildes Knurren und Brüllen drang gedämpft durch den Beton. Die Löwin trabte unruhig hin und her, ehe sie sich entschied, ihren Gefährten beizustehen. Sie verschwand im Tunnel.
    Rosa atmete tief durch und hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Nicht allein wegen des Gestanks. Bilder flimmerten durch ihre Gedanken, aber sie konnte keines lange festhalten. Der Löwe oben auf dem Fels. Der Panther, der ihr zu Hilfe gekommen war. In den Regenpfützen Alessandros verstreute Kleidung. Ihr war klar, was das zu bedeuten hatte, und sie sperrte sich nicht mehr dagegen.
    Aber hatte sie es nicht längst geahnt? Der Tiger mit Tanos Augen. Zoes Verletzungen und ihre Lügen. Dennoch war es eine Sache, sich auszumalen, dass Menschen sich in Riesenschlangen verwandelten, und eine ganz andere, es mit anzusehen.
    Ein Jaulen und Heulen hob draußen an, unterbrochen von einem heiseren Brüllen. Dann Stille. Schließlich das Winseln eines Tieres, das sich entfernte. Vielleicht auch zwei. Jemand rief etwas, aber der Satz endete in einem dumpfen Schmerzenslaut.
    Schritt um Schritt wich sie rückwärts von der Gittertür zurück, bis sie nur noch einen kleinen Ausschnitt des Vorraums einsehen konnte. Einen Streifen Stroh, die verschlossene Eisentür. Ihre Waden stießen gegen den Wassertrog an der Rückwand und hier blieb sie stehen. Sie zerrte an dem Metallrohr, das aus der Wand ragte, aber es saß viel zu fest. Sonst gab es nichts, was sie als Waffe benutzen konnte.
    Sie schwitzte, aber zugleich war ihr entsetzlich kalt. Als sie auf ihre Unterarme blickte, sah sie, dass sich die Adern blau abzeichneten, ein ganzes Netz, als hätte jemand ihr Blut gegen Tinte ausgetauscht. Ihre Haut war trocken und schuppig wie von einer Flechte.
    Irgendetwas geschah mit ihr. Sie hatte das schon einmal gefühlt, beim Erwachen im Glashaus, in diesem sonderbaren Zustand zwischen Trance und überscharfer Wahrnehmung ihrer Umgebung. Sie zitterte, schwitzte, hatte Tränen in den Augen. Ihr war übel, aber sie hielt sich weiterhin auf den Beinen, eine Hand an dem kalten Eisenrohr, die andere in den durchnässten Stoff ihres Minis gekrallt. Etwas rieselte wie Sand in ihre Augen. Aber als sie sich durchs Gesicht wischte, war ihr Handrücken weiß von Hautschuppen, die von ihrer Stirn blätterten, auf Nasenrücken und Wangenknochen hafteten und ihre Augen verklebten.
    »Du hast es nicht unter Kontrolle«, sagte eine Stimme am Eingang.
    Alessandro trug jetzt eine Jeans, die ihm viel zu weit war. Sein nackter Oberkörper schimmerte von Regenwasser, das sich mit Blut vermischt hatte. »Du musst es unterdrücken. Im Augenblick ist es besser so.«
    Aber wie sollte sie das schaffen, solange sie nicht einmal wusste, was es überhaupt war und wodurch es geschah?
    Alessandro machte sich mit einem Bund aus Sicherheitsschlüsseln am Schloss des Zwingers zu schaffen. Der dritte passte. Das Gitter schwang auf.
    Rosa taumelte und stützte sich mit ausgestreckten Armen am rauen Beton der Wand ab. Sie ließ den Kopf erschöpft nach vorn sinken, blickte zu Boden, ohne dort etwas wahrzunehmen, und versuchte sich auf ihren Atem zu konzentrieren. Es gelang noch immer nicht gänzlich, aber sie stellte sich vor, dass die Luft, die in ihren Brustkorb drang, die Eiseskälte verdrängte, einfach fortschob, aus ihr heraus, und so geschah es dann auch.
    Hände legten sich sanft von hinten auf ihre Schultern. Aus ihnen schien Wärme zu fließen, die sich in ihrem ganzen Körper ausbreitete. Das Zittern ließ nach, kam jetzt nur noch in vereinzelten Schüben.
    Seine Fingerspitzen tasteten behutsam an ihren Rippen hinab, umfassten ihre Taille, verschränkten sich auf ihrem flachen Bauch. Er hielt sie ganz fest, presste seinen Oberkörper an ihren Rücken, drückte das Gesicht in ihr nasses Haar. Wärmte sie, bis auch das letzte Zittern verebbte. Dass sie trotzdem leicht erbebte, hatte einen anderen Grund, vor dem sie sich beinahe ebenso fürchtete.
    Lange standen sie so da, ihr Rücken an seiner Brust, und sie fragte nicht, was draußen geschehen

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