Arkadien 01 - Arkadien erwacht
nicht zu sehen; sie musste sich beeilen, die Verfolger würden bald die Burg erreichen.
»Okay«, sagte er und setzte sich wieder aufrecht.
Sie drückte die Tür zu. Ihr Blick richtete sich auf die leere nächtliche Landschaft. Carnevare-Land.
Sie hörte den Schotter unter seinen Reifen spritzen, als er in zwei Zügen auf dem schmalen Weg wendete und zurück um den Berg fuhr, hinüber zur Straße. Erst als sie seine Rücklichter nicht mehr sehen konnte, drehte sie sich um. Wischte sich mit den Handballen über die Augen. Strich ihr Haar zurück.
Im Dunkeln fand sie die Treppenstufen und machte sich an den Aufstieg.
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Sie zählte die Stufen, um sich ein wenig zu beruhigen. Bei jeder zweiten atmete sie ein, dann wieder aus. Spürte der Luft in ihrem Brustkorb nach, konzentrierte sich auf die Kühle in ihren Lungen.
Die Tür am oberen Treppenabsatz stand weit offen. Eine einzelne Kerze flackerte am Boden und erhellte einen Teil des steinernen Türpfostens. Davor saß jemand auf dem Fels, in eine Decke gehüllt, und blickte ihr entgegen.
»Ich hab gewusst, dass du kommst«, sagte Iole mit ihrerKinderstimme. »Ich hab’s gewusst, als ich die Lampen gesehen habe. Die vom Auto. Nicht sehr hell waren die. Nicht so hell wie sonst.«
Rosa zog die Nase hoch, wischte ihre letzten Tränen fort und ging vor dem Mädchen in die Hocke. »Er hat dir als Licht nur eine Kerze gegeben?«
»Alessandro?« Iole grinste plötzlich, viel zu fröhlich für diese Nacht. »Die Kerze hab ich gefunden. Streichhölzer auch. Ich fand’s schöner als mit der Taschenlampe.«
Rosa musste nun lächeln, ob sie wollte oder nicht. »Du hast keine Angst im Dunkeln, oder?«
»Hier gibt’s keine Tiere wie auf der Insel«, erwiderte Iole mit einem Schulterzucken.
Ihr kurz geschnittenes schwarzes Haar roch frisch gewaschen, nach Shampoo mit Apfelduft. Sie trug Jeans und einen Rollkragenpullover, der ihr zu groß war. Dazu ausgeblichene Turnschuhe. In einer Hand hielt sie eine Coladose.
»Will er dich auch hier verstecken?«, fragte sie.
»Alessandro?« Rosa grinste, weil ihr bewusst wurde, dass sie den Namen genauso betont hatte wie Iole gerade eben. »Ja, ich schätze schon.«
»Er gibt sich große Mühe. Er ist sehr nett.«
»Manchmal.«
»Du hast ihn gern.«
Rosa horchte auf. »Ach, ja?«
»Das hab ich gleich gewusst. Schon auf der Insel, als ihr bei mir wart. Bevor sie mich abgeholt haben.«
»Wohin haben sie dich gebracht?« Vielleicht war es eine gute Idee, das Thema zu wechseln.
»In ein Bauernhaus, nicht weit von hier. Alessandro hat mich da rausgeholt und hergebracht. Er sagt, die anderen suchen mich jetzt.« Verschwörerisch senkte sie die Stimme. »Es ist ihm sicher nicht recht, dass ich allein hier draußen sitze.«
»Jetzt bist du ja nicht mehr allein.«
»Stimmt.«
Sie war nur zwei Jahre jünger, fünfzehn, aber Rosa kam es vor, als spräche sie mit einem Kind.
»Kommt er her?«, fragte Iole.
»Gleich.«
»Die anderen Männer dürfen nicht wissen, dass wir hier sind.«
»Besser nicht.«
»Aber früher oder später finden sie uns.« Iole sagte das so abgeklärt, dass Rosa eine Gänsehaut bekam. »Früher oder später finden sie einen immer. Alessandro sagt, diesmal nicht, aber das weiß ich besser. Ich hab mich schon oft vor ihnen versteckt.«
»Bald nicht mehr.«
»Ist das wieder ein Versprechen?«
Rosa spürte, wie sich alles in ihr zusammenzog. »Noch eines, das ich nicht halten kann, meinst du?«
Iole zuckte die Achseln. »Alessandro hat mir erzählt, dass ihr ein zweites Mal zur Insel gefahren seid, um mich zu holen.«
Rosa nickte. Die Bilder von dem leeren Haus ohne Türen, von den kämpfenden Raubkatzen kehrten zurück. Sie wollte sie verscheuchen, aber es ging nicht.
»Die Tiere waren da. Ich hatte euch doch vor ihnen gewarnt.«
»Es war wohl ziemlich dumm, nicht auf dich zu hören.«
»Aber ihr seid wegen mir zurückgekommen.« Das war keine Frage mehr. Iole lächelte und blickte gedankenverloren an Rosa vorbei in den Nachthimmel. »Ihr beiden habt euch gern und ihr seid wegen mir zurückgekommen. Das ist schön.« Sie überkreuzte die Arme vor der Brust und rieb sich fröstelnd die Schultern. »Sehr, sehr schön ist das.«
Am Meeresgrund
E ine halbe Stunde später betraten sie zu dritt Ioles Unterschlupf in den Kellern der Burg. Es war ein kleines Apartment, fensterlos, aber sauber, mit vielen Lampen und eingerichtet wie ein Hotelzimmer, wenn auch ein wenig abgewohnt. Die geöffnete Tür zum Bad
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