Arkadien 01 - Arkadien erwacht
zurückgeben, als ihr etwas auffiel. »Was ist das?« Sie deutete auf einen schmalen Streifen neben dem linken Rand des Fotos. Es war um ein, zwei Millimeter im Rahmen verrutscht. Dahinter steckte noch etwas anderes.
»Noch ein Bild«, sagte Iole.
»Kann man deinen Onkel darauf besser erkennen? Vielleicht hilft das Alessandro« – Rosa warf einen vielsagenden Blick in seine Richtung –, »Augusto aufzuspüren.«
Er verzog das Gesicht zu einem Ausdruck von Du-mich-auch, der ihr gar nicht mal schlecht gefiel. Sie mochte ihn lieber, wenn er angriffslustig war, nicht so voller Zweifel. Defensive stand ihm nicht.
Rasch wandte sie sich wieder dem Foto zu.
»Auf dem anderen Bild ist er gar nicht zu sehen«, sagte Iole.
»Wer dann?«
»Niemand. Nur eine alte Steinfigur.«
Alessandro verschränkte die Arme vor der Brust und hob skeptisch eine Braue. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass er nur sie ansah, nicht das Bild.
»Kann ich’s mal sehen?«, fragte sie Iole.
Das Mädchen nickte, nahm ihr den Rahmen aus der Hand und öffnete vorsichtig die Rückseite. Tatsächlich lag da eine zweite Fotografie hinter der ersten. Iole bekam sie mit ihren abgekauten Fingernägeln nicht zu fassen und Rosas eigene sahennicht viel besser aus. Alessandro beugte sich über sie und nahm das Bild heraus, indem er es mit Daumen und Zeigefinger zusammenschob. Seine grünen Augen verdüsterten sich, als er das Foto umdrehte.
»Was ist?«, fragte sie.
Er trat einen Schritt zurück und kippte das Bild ein wenig in den Schein eines Deckenstrahlers.
»Alessandro?«
Iole wurde kurzatmig und redete schneller. »Ich fand’s schön, deshalb hab ich’s eingesteckt. Es lag mit vielen anderen auf dem Schreibtisch meines Vaters und als Cesares Männer gekommen sind, da hab ich ein Bild von Papa eingesteckt und noch eines von den anderen. Das haben sie aber nicht gemerkt und ich hab’s dahinter versteckt … also, später, als keiner hingesehen hat. Da hab ich’s versteckt … dahinter.«
Sie hätte wohl weitergeplappert, hätte Alessandro sie nicht so ernst und besorgt angeschaut. Rosa sprang auf und trat neben ihn. Sie fasste das Foto vorsichtig am Rand und drehte es zu sich, um einen Blick darauf zu werfen.
Es war tatsächlich eine Statue, genau wie Iole gesagt hatte. Eine Figur aus porösem Gestein, angeleuchtet von einem Scheinwerfer oder Handstrahler, der sie aus dem Dämmer einer kargen Unterwasserlandschaft riss. Partikelschwärme trieben durch das Licht, am Bildrand schwamm ein silbriger Fisch. Im Hintergrund waren undeutlich kantige Silhouetten zu erkennen; vielleicht Felsen, vielleicht Ruinen am Meeresgrund. Klar auszumachen war allein die beleuchtete Statue.
Es war das Abbild einer Raubkatze, die sich auf die Hinterbeine erhoben hatte, als setzte sie gerade zum Sprung an. Um ihren Körper wand sich als schuppige Spirale der Leib einer Riesenschlange, so breit wie der muskulöse Hals der Katze. Der Panther – denn es war ganz eindeutig einer, kein Tiger, kein Löwe – hielt das Maul geschlossen und starrte wie gebannt auf den Schlangenschädel, der sich genau vor seinem eigenen befand. Raubkatze und Reptil schauten sich in die Augen, aber keiner von beiden erschien aggressiv. Die Szene, die auf den ersten Blick wie die Darstellung eines Kampfes ausgesehen hatte, entpuppte sich bei genauerem Hinsehen als etwas anderes: Die beiden Tiere beobachteten einander, kommunizierten stumm. Selbst die Windungen der Schlange um den Katzenkörper wirkten nicht wie ein Würgegriff.
»Ist das eine Umarmung ?«, flüsterte Alessandro.
Rosas Herzschlag raste und hämmerte in ihren Schläfen. Das Klopfen wurde immer lauter, aber sie bemerkte erst nach einem Moment, dass die anderen es ebenfalls hörten.
Nur kam es jetzt nicht mehr aus ihrer Brust.
Jemand pochte an die Tür des Verstecks.
TABULA
M ach auf, Alessandro!« Cesares Stimme drang dumpf durch die Tür, ohne dabei an Schärfe zu verlieren. »Ich weiß, dass ihr da drinnen seid.« Und nach einem Moment: »Alle drei.«
Alessandro wirbelte herum und ließ dabei das Foto los. Rosa steckte es in ihre Hosentasche. Iole schob sich auf dem Bett mit dem Rücken gegen die Wand und presste das Bild ihres Vaters an sich.
Alessandro wechselte einen sorgenvollen Blick mit Rosa.
»Irgendwer hat dich verraten«, sagte sie leise. »Jetzt stehen sie alle auf seiner Seite.«
Seine Wangenmuskeln zuckten vor Zorn. Mit ein paar raschen Schritten trat er zur Tür. »Das hier ist noch immer
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