Arkadien 03 - Arkadien fällt
Eile getrieben: Wir bezahlen Sie nicht für Ihr Vergnügen.
»Wer ist Apollonio?« Ihre Stimme schwankte. Sie war immer entschlossener, jemanden für alles bezahlen zu lassen. Und wenn es dieser verwirrte Greis war.
»Sie waren Brüder«, sagte Sigismondis. »Davide und Apollonio waren Zwillinge. Costanzas Zwillinge.«
»Warum hat nie jemand von ihm gesprochen? Was ist mit Apollonio passiert?«
Sigismondis neigte den Kopf zur Seite, musterte sie, dann lächelte er wieder. »Costanza war eine schöne Frau. Du bist es auch.«
»Ich bin nicht Costanza.«
Sein Lächeln hatte etwas Mysteriöses, als er sich umwandte und davonging, ungeachtet der Waffe, die auf ihn gerichtet blieb.
»Halt!«, fuhr sie ihn an.
Er kümmerte sich nicht darum.
Sie ging hinter ihm her, holte auf, streckte schon die Hand aus, um ihn aufzuhalten. Aber er war viel größer als sie und sie war nicht sicher, wie irre er wirklich war. Auch wenn er harmlos wirkte, wusste sie nicht, wie er auf Berührungen reagierte. Sie hätte ihn erschießen können, aber damit hätte sie auch alle Chancen verspielt, Antworten auf ihre Fragen zu bekommen.
»Wo ist mein Vater?«, fragte sie, während sie ihm zwischen den Käfigreihen tiefer in die unterirdische Halle folgte. »Was ist aus Davide geworden?«
Er gab keine Antwort.
»Und Apollonio?«
Nur Schweigen. Das Knistern der Neonröhren. Es klang wie Insekten, die hinter Glas gefangen waren.
Sie erreichten das Ende der Käfigschneise. Sigismondis bog nach links und ging an der Rückwand der Halle entlang, grauer Beton, an dem hier und da ein altes Schild hing. Feuerschutzbestimmungen. Rettungswege auf einer schematischen Darstellung des Bunkers. Einmal sogar eine Tafel mit verwischten Kreidebuchstaben, Wortgespenster, die längst ihre Bedeutung verloren hatten.
Durch eine offene Tür fiel gelbliches Licht. Sie führte in eine weitere Halle, sehr viel kleiner, aber noch immer von beachtlichen Ausmaßen. Vielleicht war hier einmal eine Kantine gewesen, darauf ließen die langen Tische schließen, die sich von einer Seite des Raumes zur anderen erstreckten. Stühle oder Bänke gab es keine mehr. Unweit des Eingangs entdeckte Rosa ein zerwühltes Bett und einen geöffneten Schrank, aus dem Dutzende weißer Kittel quollen. Auf dem Boden waren Unmengen von Bechern mit Fertigsuppen gestapelt, für deren Zubereitung nichts als heißes Wasser nötig war. Sigismondis schien die leeren Becher nach dem Essen einfach in eine Ecke zu werfen, wo sie einen hohen, stinkenden Haufen bildeten.
Auf den langen Tischen standen Hunderte von ausgestopften Tieren. Paarweise, immer zwei derselben Art.
Es roch nach Stroh und Mottenkugeln. Im Palazzo Alcantara hatte es ein paar Jagdtrophäen gegeben, Füchse und Biber, sogar einen jungen Wolf. Sie hatten ähnlich gerochen, nur hatte man nah herangehen müssen, um es wahrzunehmen. Hier aber stank der ganze Saal danach.
Sigismondis legte im Vorbeigehen seinen Block auf einen der Tische und nahm aus einer Blechschüssel eine aufgezogene Spritze. Rosa versteifte sich, aber er machte keine Anstalten, sie anzugreifen. Stattdessen begann er, an der Reihe der präparierten Tiere vorbeizugehen und jedem einige Tropfen zu injizieren. Nach fünf Paaren war die Spritze leer, aber dort lag schon die nächste bereit. Mit ihr setzte Sigismondis seinen Weg fort.
Er ging mit größter Sorgfalt vor, trat von einem Tier zum anderen und setzte die Kanüle gezielt. Dabei entfernte er sich langsam von Rosa, die in der Nähe des Eingangs stehen geblieben war und mit einem Mal nicht mehr wusste, was sie hier eigentlich wollte.
Die ausgestopften Tiere waren keine Arkadier. Sie erkannte Marder, Iltisse, Füchse und Hasen, außerdem Habichte, Eulen und Krähen. Keines der Geschöpfe war größer als in der freien Natur. Arkadier wichen nach der Verwandlung nur selten von ihren Maßen als Mensch ab, darum waren die Harpyien so mörderisch groß gewesen, die Hundinga so kräftig. Diese Tiere aber waren nie und nimmer die Gefangenen aus den Käfigen.
Sigismondis’ Versuchsobjekte waren durch diese hier ersetzt worden. Und der alte Mann bemerkte nicht, dass er seine Injektionen nicht in lebende Körper spritzte, sondern in Füllungen aus Stroh oder Synthetik.
»Was tun Sie da?«, fragte sie.
»Ich sorge für sie.«
Sigismondis war jetzt mehr als zehn Meter von ihr entfernt. Sie setzte sich in Bewegung, um ihm mit Abstand zu folgen. Die Glasaugen der Tiere beobachteten sie.
Du gehörst nicht
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