Arkadien 03 - Arkadien fällt
sich seit Jahren in diesem Zustand. Er isst, er schläft, er arbeitet. Jedenfalls glaubt er das.«
»Du hast ihn versorgt?«
»Nicht, weil ich ihn so sehr ins Herz geschlossen hätte, das kannst du mir glauben. Aber hätte ich ihn verhungern lassen sollen? Oder erschießen?« Er zeigte auf ihre Pistole. »Ich bin nicht so gut im Umgang mit diesen Dingern wie du.«
»Ich hab’s mir nicht ausgesucht.«
»Nein«, erwiderte er mit ernster Miene. »Ich weiß.«
Nur eine Tischbreite war jetzt noch zwischen ihnen, keine anderthalb Meter. Von nahem erkannte sie die kleinen Falten um seine Augen. Seine Lippen waren rau und aufgesprungen, womöglich eine Folge der klimatisierten Luft im Bunker.
»Du hast mir wirklich eine Menge zu erklären«, sagte sie, ließ die Waffe aber nicht sinken.
»Ich schätze schon.«
»Weshalb nicht hier?«
»Weil du sehen musst, was ich an diesem Ort tue, um verstehen zu können, warum ich es tue. Außerdem bin ich mir nie ganz sicher, wie viel er wirklich mitbekommt. Manchmal sagt er erstaunliche Dinge, dann wieder ist er hilflos wie ein Kleinkind.«
Sie verzog das Gesicht. »Wechselst du seine Windeln?«
»So weit ist es noch nicht. Aber du darfst gern zu uns ziehen und dich nützlich machen.« Der Tonfall, in dem er mit ihr sprach, verwirrte sie. Bissig und zugleich vertraulich, als wären sie nie getrennt gewesen.
»Geh vor«, sagte sie.
Er schenkte ihr noch einmal ein kurzes Lächeln, dann wandte er sich um und trat hinaus in die große Halle.
»Langsam.«
»Hätte ich vor davonzulaufen, wäre ich wohl kaum zu dir und unserem wirren Freund hier gekommen, oder?«
Er ging jetzt an der Seitenwand entlang, neben der äußeren Käfigreihe, zurück zum vorderen Bereich vor dem Transportlift und dem Treppenhaus. Rosa warf einen Blick über die Schulter und vergewisserte sich, dass Sigismondis keine Anstalten machte, ihnen zu folgen. Es gefiel ihr nicht, ihn in ihrem Rücken zu wissen, aber damit musste sie sich notgedrungen abfinden.
»Ist hier unten noch irgendjemand?«
»Nein, keiner.«
Seine Arme bewegten sich bei jedem Schritt, der Kunststoff des weißen Overalls raschelte. Sie ging etwa drei Meter hinter ihm und beobachtete, wie die Schatten der Käfiggitter über ihn hinwegzogen. »Meine Mutter hat mit TABULA zusammengearbeitet«, begann er. »Costanza hat nie etwas anderes als ihren eigenen Vorteil im Sinn gehabt. Gemma hat dir sicher von ihr erzählt. Dann hast du wahrscheinlich einen ganz guten Eindruck davon, wie sie war. Eine Lamia, durch und durch.«
Merkwürdigerweise traf sie diese Bemerkung mehr, als sie sich eingestehen wollte. Er hatte die Worte nicht direkt gegen sie gerichtet, nur gegen seine Mutter, aber es ärgerte sie, dass er alle Lamien über einen Kamm scherte.
»Costanza war ein Ungeheuer«, fuhr er fort, »und trotzdem gab es jemanden, der mindestens ebenso schlimm war wie sie, wenn nicht schlimmer. Ihre Mutter. Als sie Costanza und ihre Zwillingsschwester Catriona zur Welt brachte, war sie weit über vierzig und kam bei der Geburt fast ums Leben. Der Clan hätte beinahe führerlos dagestanden, die Geschäfte wären von capodecini geleitet worden, von Männern – undenkbar für eine Lamiafamilie. Viele von ihnen waren nicht glücklich, als deine Urgroßmutter nach einigen Wochen zurückkehrte. Sie wiederum hatte sich sehr genau darüber informiert, wer auf ihren Tod gesetzt hatte, und sie war nicht zimperlich mit ihrer Rache. In einer einzigen Nacht ließ sie neunzehn Männer ermorden, von denen sie annahm, sie wollten ihre Macht untereinander aufteilen. Bei einigen stimmte das, andere waren unschuldig. Für Costanza spielte das keine Rolle. Sie wollte niemals wieder das Risiko eingehen, dass Männer die Geschicke der Alcantaras bestimmen könnten.«
»Was hat das mit –«
»Alles«, unterbrach er sie. »Es hat alles mit dem hier zu tun. Und wenn du versuchen willst, zu verstehen, was Costanza angetrieben hat, dann musst du diese Hintergründe kennen. Aber machen wir einen Sprung nach vorn, ungefähr fünfunddreißig Jahre. Mittlerweile sind Costanza und Catriona erwachsene Frauen, aber auch ihre Mutter lebt noch und mit Anfang achtzig lässt sie noch immer nicht zu, dass irgendwer außer ihr selbst die Geschäfte der Alcantaras führt. Sie ist krank, vielleicht schon ein wenig wirr, aber sie kann die Macht nicht loslassen und bringt es nicht über sich, eine ihrer Töchter zu ihrer Nachfolgerin zu ernennen.
Catriona kann damit leben, sie hat
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