Arkadien 03 - Arkadien fällt
unvermeidlichen Kunststoffvorhängen der Balkontüren.
An einem Brunnen erklärte ein Schild den Besuchern die Geschichte von Ragusa Ibla. Die Schrift war gerade groß genug, um im Vorbeigehen die ersten zwei Sätze zu entziffern. Demnach war der Ort auf den Ruinen einer antiken Stadt der Sikuler entstanden, der Ureinwohner Siziliens. Rosa hatte ihre Grabhöhlen am Ende der Welt gesehen, jenem Ort, den sie unweigerlich mit Alessandro verband. Nach den Sikulern hatten die Griechen die Insel in Besitz genommen und hier auf dem Berg ihre Siedlung Hybla Hera gegründet. Später war daraus Ibla geworden.
Das Antiquariat befand sich im Erdgeschoss eines Eckhauses. Das düstere Schaufenster war vergittert. Über dem Eingang hing ein Schild, auf dem in schmucklosen Lettern der Schriftzug Libreria Iblea geschrieben stand. Allerlei Bücher waren im Fenster ausgestellt, die meisten so braun wie der Tuffstein, aus dem ein Großteil der Altstadt errichtet war. Ein wenig machte es den Eindruck, als sei einfach alles hier versteinert: die Häuser, die Auslage, selbst die Katze, die unter dem Fenster schlief.
Auch der alte Mann, der an einem Tisch im Laden saß, fügte sich nahtlos in dieses steinerne Ensemble ein. Er bewegte sich keinen Millimeter, als Rosa eintrat. Seine Haut hatte die Farbe von Pergament, ebenso seine Hose und die Weste über seinem Hemd. In der Rechten hielt er eine Lupe und betrachtete damit die Seiten eines aufgeschlagenen Folianten.
Der Laden war bis unter die Decke voll mit Büchern, die meisten aus einer Zeit, als es noch keine bunten Titelbilder gegeben hatte. Die Schutzumschläge sahen aus wie benutztes Backpapier. In der hinteren Wand des Geschäftsraums gab es eine offene Tür, die einen Blick auf weitere Reihen überfüllter Regale und Vitrinen gestattete.
Rosa grüßte beim Eintreten, aber der Mann blickte nicht auf. Sie öffnete und schloss die Tür noch einmal und wartete darauf, dass er auf den Klang der Glocke reagierte. Nichts.
»Entschuldigen Sie«, sagte sie und nahm die Sonnenbrille ab, »ist Ihr Geschäft geöffnet?«
»Hätten Sie sonst zweimal die Tür auf- und zumachen und damit die Katze meiner Nachbarin zu Tode erschrecken können?« Er studierte weiter die mikroskopische Schrift auf den Seiten. Doch nicht aus Stein, dachte sie. Gut.
»Wenn die Türglocke das Vieh erschreckt, kommen wohl nicht oft Leute bei Ihnen rein.«
»Diejenigen, die es tun, zeichnen sich in der Regel durch Höflichkeit aus.« Der alte Mann legte mit einem Seufzen sein Vergrößerungsglas beiseite, drehte sich im Sitzen halb um und musterte sie. »Das, was Sie suchen, Signorina, gibt es im Buchladen drei Straßen weiter, unterhalb des Doms.«
»Sind die Verkäufer da freundlicher?«
»Ich hatte noch nicht das Vergnügen. Mir liegt nichts an Taschenbüchern und Geschenkartikeln.«
Sie entschied, netter zu ihm zu sein. Aufrichtig beeindruckt schaute sie sich um. »Hier sieht es aus wie in der Bibliothek bei mir zu Hause.«
Sein Lächeln war ein wenig herablassend, aber nun wirkte er eine Spur interessierter. »Sie besitzen eine Bibliothek?«
»Die meisten Bücher darin stammen von meinen Urgroßeltern. Oder deren Urgroßeltern.«
»Sieh an. Eine junge Dame aus einem alten Geschlecht gebildeter Buchliebhaber.« Er klang spöttisch, aber nicht länger abweisend. Nun erhob er sich sogar von seinem knarrenden Holzstuhl und kam ihr einen Schritt entgegen. »Womit kann ich Ihnen behilflich sein?«
Rosas Blick fiel auf einen Stapel Bestandskataloge, die neben der altmodischen Registrierkasse lagen. Es war die gleiche Ausgabe, die sie bei Fundlings Sachen gefunden hatten. »Ich suche ein bestimmtes Buch.«
»So.«
»Sie haben es in Ihrer Liste aufgeführt.« Sie deutete auf die Kataloge. » Die Löcher in der Menge von Leonardo Mori.«
Sein Gesichtsausdruck änderte sich nicht, aber die lange Pause, die er machte, verriet ihr, dass er erstaunt war. »Das ist eine außergewöhnliche Wahl für eine Dame Ihres Alters.«
»Sie kennen mich nicht«, entgegnete sie lächelnd.
»Und was, falls ich mich danach erkundigen darf, hat Ihr Interesse an ausgerechnet diesem Werk geweckt?«
»Mein Gemüsehändler hat mich noch nie gefragt, warum mir gerade der eine Blumenkohl gefällt.«
Er ging hinüber zur Kasse und nahm ein Exemplar seines Verzeichnisses zur Hand. Zielsicher schlug er das Heft auf der Seite mit Moris Buch auf. »Das ist kein preiswerter Band«, sagte er, als sähe er den Betrag zum ersten Mal.
»Ich
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