Arkonadas Totenbuch
nächste Umgebung und stellte fest, daß der zweite Sarg mit der jungen Frau darin auf der linken Seite stand. Die Finsternis war total und erdrückend. Und die Luft konnte man kaum als solche bezeichnen. Sie war verbraucht, roch nach Erde, Steinen. Man hatte mich nicht ohne Grund in diese Kaverne geschafft. Irgend etwas war in der Tiefe für mich vorbereitet worden, wobei ich nicht wußte, was.
Wahrscheinlich endete der Schacht an einer Stelle, die man als Opferplatz bezeichnen konnte. Ich kannte mich in diesen Dingen ein wenig aus und wußte, daß es immer Orte und Stellen gab, wo die Opfer auf ihr Ende warteten. Die andere Seite machte sie durch diese schrecklichen Vorbereitungen gefügig, sie sorgte dafür, daß das Gefühl der Angst stündlich stärker wurde und die bedauernswerten Menschen irgendwann soweit waren, daß sie den Tod als Erlösung empfanden. Dazu wollte ich es nicht kommen lassen!
Schon oft hatte ich mich als Gefangener gefühlt, aber es war mir immer wieder gelungen, auf die eine oder andere Art und Weise freizukommen. Auch jetzt gab ich die Hoffnung nicht auf, wenn ich auch an die junge Frau dachte, die für mich ein großes Hindernis darstellte. Wurde ich angegriffen, mußte ich nicht allein mein Leben schützen, auch das ihre. Hoffentlich gelang mir das!
Ich stand jetzt neben dem Sarg. Wie viele Minuten seit meiner Ankunft in der Tiefe vergangen waren, konnte ich nicht sagen. Nur das Zifferblatt meiner Uhr leuchtete leicht grünlich. Jedenfalls hatten wir den frühen Abend schon erreicht.
Meine Augen hatten sich zwar an die Verhältnisse gewöhnt, trotzdem konnte ich nichts erkennen. Die Dunkelheit war einfach zu dicht. Da gab es rein gar nichts, das sie erhellte.
Diese Tatsache drückte auch auf meine Psyche!
Aber ich besaß Licht. Zwar nur die kleine, mittlerweile berühmt gewordene Bleistiftleuchte, die in jede Hosentasche paßte, doch ihr heller dünner Finger hatte mir schon so manches Mal hervorragende Dienste erwiesen.
Ich holte sie hervor.
Der Streifen Helligkeit war tatsächlich nur so breit wie der Finger eines Erwachsenen, und er fuhr wie ein helles Messer durch die tintige Finsternis.
Ich hatte die Lampe schräg gehalten, so daß der Strahl auf den Sarg fiel, in dem ich gelegen hatte.
Sofort ließ ich ihn weiterwandern. Er erfaßte den zweiten Sarg, indem die Frau mit dem blassen Gesicht lag. Auch im schmalen Schein der Lampe hatten ihre Züge keine Farbe bekommen.
Sie blieben so bleich, so eingefallen, und selbst die Lippen sahen blaß aus. Ich beugte mich über sie und fühlte nach ihrem Pulsschlag. Sehr schwach war er nur zu spüren. Der Trank mußte stark gewesen sein, sie würde bestimmt noch einige Stunden »schlafen«. Das war in einer Hinsicht sogar gut. Wenn sie erwachte, drehte sie unter Umständen noch durch, was für mich sehr hinderlich geworden wäre. So ließ ich sie im Sarg liegen, hob den Arm und riskierte es einfach, den schmalen Strahl tiefer in die Finsternis zu stechen, bis er von ihr aufgesaugt wurde.
Ein Ziel traf er nicht, er verschwand einfach in der Schwärze. Ich drehte mich und leuchtete dorthin, wo wir hergekommen waren. Zunächst einmal sah ich die Seile. Sie lagen vor meinen Füßen wie zusammengeringelte und verdorrte Schlangen. Auch das Ende des Schachts war nicht zu erkennen, obwohl ich den Strahl in die Höhe stechen ließ. Er verlor sich in der Finsternis.
Der Vergleich mit dem großen Grab oder Sarg wurde immer treffender. Ich dachte an das Okastra-Abenteuer, das mich nach Spanien geführt hatte. Auch dort war ich in einem Berg eingeschlossen worden, der mit einer starken Magie gefüllt war.
Damals hatte ich die weißen Monsterspinnen entdeckt, hier sah ich nichts. Wenn irgendwelche Gegner auf mich lauerten, hielten sie sich in der drückenden Finsternis verborgen.
Wie ging es weiter?
Auf diese Frage wußte ich keine Antwort. Ich war mir sicher, daß man mich nicht für alle Ewigkeiten in Ruhe lassen würde. Irgend etwas mußte geschehen, denn die Blutgöttin würde nicht gern warten. Wenn ich stand, war die Stille perfekt. Nicht einmal das Trappeln irgendwelcher Ratten oder Mäuse war zu hören.
Bis zu dem Augenblick, als sie durch einen dumpfen Singsang unterbrochen wurde.
Er war nicht deutlich zu vernehmen, ich konnte auch keinerlei Unterschiede ausmachen, aber er war vorhanden und hörte sich so an, als würden die Sänger hinter einer Mauer stehen, die den größten Teil des Schalls schluckte. Ich konzentrierte mich auf
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