Arkonadas Totenbuch
bekam die junge Frau einen so großen Vorsprung, daß ich sie erst hätte packen können, als sie ihr Ziel bereits erreicht hatte. Durch ihre überhastete Reaktion war einiges durcheinander geworfen und in Unordnung gebracht worden, zudem hatte sie mich zum handeln gezwungen, was mir überhaupt nicht gefiel.
Die Chance war gering, und sie schmolz mit jeder vergehenden Sekunde immer weiter zusammen. Trotzdem blieb ich nicht auf der Stelle stehen und ließ sie laufen.
Ich nahm die Verfolgung auf.
Mit sehr großen Sprüngen überwand ich die Distanz. Auch mir war es egal, ob ich von den Klauen der Blutgöttin gegriffen wurde, ich wollte die junge Frau nicht ein Opfer dieser Dämonin werden lassen. Es blieb beim Vorsatz.
An vieles hatte ich gedacht, nur nicht an die Schatten und nicht daran, daß sie, obwohl sie tot aussahen, es nicht waren. Ich konnte sie als Hüter des Totenbuchs bezeichnen, und so genau reagierten sie auch. Sie wollten nicht, daß dieser alten Schrift etwas geschah. Auf einmal lösten sie sich von dem Totenbuch.
Sie wirbelten lautlos auf mich zu, bewegten sich in der Luft wie alte vom Wind hochgewirbelte Stofflappen, die größeren unter ihnen wie die Schwingen eines Rochens.
Und ebenso gefährlich waren sie.
In einer breiten Front huschten sie auf mich zu, deutlich zu erkennen vor dem Hintergrund des leuchtenden Feuers, so daß ich wegen ihrer Breite keine Chance hatte, an die junge Griechin heranzukommen. Ich konnte noch einen letzten Blick erhaschen. Was ich dort sah, ließ mir fast das Blut in den Adern gefrieren und die blanke Wut in meinem Innern wechseln.
Die Frau rannte auf die blauen Hände zu und in die Flammen hinein. Sie stieß dabei einen lauten Schrei aus, hatte die Arme ausgebreitet, als wollte sie jede einzelne Feuerzunge umfassen und sie an sich pressen. Der Schrei endete mit einem lauten Klagen, bevor das Feuer es geschafft hatte, die Person zu verschlingen.
Eli hatte ihr erstes Opfer bekommen. Mein Versprechen war null und nichtig geworden.
Ich merkte selbst, daß ich blaß wurde, konnte mich aber nicht mit irgendwelchen Vorwürfen abgeben, denn die Schatten waren plötzlich da, zogen sich zusammen oder breiteten sich aus, weil sie meinen Hals suchten…
Ich tauchte weg, ich kämpfte, und ich merkte, wie die geheimnisvollen Schatten mir trotzdem die Luft nahmen, denn sie entrissen der normalen Atemluft den Sauerstoff.
Meine Bewegungen erlahmten, aber noch besaß ich meine Waffen, unter anderem auch das Kreuz, das ich hervorholte, als ich mich rücklings zu Boden warf.
Über mir tanzten sie.
Stimmen hörte ich nicht, aber ihre Bewegungen glichen schon einem kaum hörbaren Flüstern. Und dann waren sie da.
Ich aber schrie ihnen die Formel entgegen, die mein Kreuz zu einer weißmagischen lichtstarken Waffe machte…
***
Suko hätte es nie für möglich gehalten, die bizarre Bergwelt der Insel Kreta aus einer so luftigen Höhe zu erleben. Er wurde von der Kraft und Stärke des Eisernen Engels getragen und erlebte Dinge, die sonst nur in Legenden oder Märchen vorkamen. Das aber war Realität. Der Eiserne führte ihn über Geröllhänge hinweg, sie überflogen schroffe Gipfel, glitten in Täler hinein, aus denen sie wieder hervorstießen, so daß Suko dabei das Gefühl bekam, in den allmählich dunkler werdenden Ball der Sonne zu schießen.
Der Wind umspielte ihn. Er hörte das Schlagen der mächtigen Flügel neben sich und klammerte sich an der Schulter des Eisernen fest. So wie er war auch schon John Sinclair geflogen, aufgestiegen in die Luft wie ein Adler, der sein Nest sucht.
In diesem Falle war es kein Nest, sondern ein Kloster. Und das sahen sie plötzlich schräg unter sich.
Ebenso schräg fielen die Strahlen der Sonne gegen die äußeren Mauern und gaben ihnen einen roten, an den Rändern leicht gelblichen Schein, der die Mauer freundlicher wirken ließ, als sie es tatsächlich war. Suko konnte die Augen wieder öffnen, da er und der Eiserne von den Schatten hoher Felswände gedeckt wurden.
Er blickte in die Tiefe und mußte erkennen, daß dieses Bergkloster mit den schroffen Felskanten fast eine Einheit bildete und gewissermaßen voll in die Landschaft integriert worden war.
Er sah keinen direkten Weg, der zum Kloster führte, dafür jedoch einen Wagen mit zwei davor gespannten Maultieren. Dieses Gefährt fuhr vom Kloster weg.
Suko kannte es, und er kannte auch den Mann, der auf dem Kutschbock saß. »Wir müssen landen!« schrie er gegen das Tosen des
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