Arm und Reich
wurde die Beulenpest während der Herrschaft des römischen Kaisers Justinian nach Europa eingeschleppt (542–543 n. Chr.). Als »Schwarzer Tod« suchte die Pest Europa jedoch erstmals im Jahr 1346 mit voller Wucht heim, nachdem eine neue, über Land führende Handelsroute nach China den schnellen Transport von Pelzen, in denen Flöhe nisteten, aus pestverseuchten Gebieten Zentralasiens entlang der eurasischen Ost-West-Achse nach Europa ermöglicht hatte. Heute sind selbst die längsten Interkontinentalflüge kürzer als die kürzeste menschliche Infektionskrankheit. So konnte es geschehen, daß eine Maschine der argentinischen Fluggesellschaft Aerolineas Argentinas 1991 nach einem Zwischenstopp in Lima (Peru) noch am selben Tag mehrere Dutzend cholerakranke Passagiere in meiner Heimatstadt Los Angeles, über 5000 Kilometer von Lima entfernt, ablud. Die explosionsartige Zunahme der Fernreisen von Amerikanern und die wachsende Zahl von Einwanderern sind gerade dabei, unser Land erneut in einen Schmelztiegel zu verwandeln – diesmal von Mikroben, die vor kurzem als Erreger irgendwelcher exotischer Krankheiten in irgendwelchen fernen Ländern weithin unbekannt waren.
Tabelle 10.1 Tödliche Geschenke unserer lieben Tiere
Als die menschliche Bevölkerung in manchen Gebieten eine ausreichende Größe und Dichte erreicht hatte, begann die Phase der Menschheitsgeschichte, in der endlich unsere typischen Massenkrankheiten entstehen und die Zeiträume zwischen Epidemien überdauern konnten. Diese Aussage wirft allerdings die Frage auf, woher denn diese Krankheiten, die es vorher gar nicht geben konnte, plötzlich kamen.
Antworten darauf wurden in den letzten Jahren durch molekular biologische Untersuchungen der als Erreger identifizierten Mikroben zutage gefördert. Für viele Erreger von Krankheiten, die nur beim Menschen auftreten, können Molekularbiologen inzwischen den jeweils engsten Verwandten bestimmen. Diese Verwandten sind ihrerseits Erreger von Infektionskrankheiten, die ebenfalls unter Bedingungen des massenhaften Zusammenlebens auftreten – allerdings nicht bei Menschen, sondern bei verschiedenen Haustierarten! Auch bei Tieren sind große, dichte Populationen die Voraussetzung epidemischer Krankheiten. Betroffen sind nicht beliebige Arten, sondern in erster Linie domestizierte, in sozialen Gemeinschaften lebende Tiere mit den erforderlichen größeren Populationen. Als wir diese Arten domestizierten, beispielsweise Kühe und Schweine, brachten sie in die Partnerschaft ihre epidemischen Krankheiten ein, die nur darauf warteten, auf uns übertragen zu werden.
So ist das Masernvirus am engsten mit dem Erreger der Rinderpest verwandt. Die Rinderpest ist eine gefährliche Seuche der Rinder und vieler wildlebender Wiederkäuer, die nicht auf den Menschen übertragen wird. Umgekehrt erkranken Rinder nicht an Masern. Die enge Verwandtschaft zwischen Masern- und Rinderpestvirus läßt vermuten, daß der Erreger der Rinderpest auf den Menschen übersprang, wo nach verschiedenen Anpassungen das Masernvirus aus ihm hervorging. Der Sprung zum menschlichen Wirt ist alles andere als überraschend, bedenkt man, wie eng viele Bauern mit ihrem Vieh zusammenleben und auf diese Weise dem Kot, Urin, Atem, den Wunden und dem Blut der Tiere nahe sind. Unsere Nähe zu Rindern begann schon vor 9000 Jahren, als wir sie domestizierten – so hatte das Rinderpestvirus reichlich Zeit, um uns als potentiellen Lebensraum zu entdecken. Wie Tabelle 10.1 zeigt, lassen sich andere bekannte Infektionskrankheiten ebenso zu unseren lieben Tieren zurückverfolgen.
Aufgrund der räumlichen Nähe zwischen uns und den Tieren, die wir lieben, müssen wir einem Dauerbeschuß durch ihre Mikroben aus gesetzt sein. Durch das Wirken der natürlichen Selektion gelingt es aber nur wenigen dieser Eindringlinge, sich als Krankheiten des Menschen zu etablieren. Ein kurzer Überblick über heutige Krankheiten soll uns helfen, die vier Stadien der Evolution einer typisch menschlichen Krankheit von einer tierischen Vorläuferkrankheit zu verfolgen.
Das erste Stadium illustrieren Dutzende von Krankheiten, mit denen wir uns gelegentlich bei unseren Schoßoder Haustieren unmittelbar anstecken. Dazu zählen Katzenkratzkrankheit, Leptospirose, mit der wir uns bei Hunden anstecken, Psittakose (auch Papageienkrankheit genannt), die von Hühnern und Papageien übertragen wird, und Brucellose von unserem
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