Arm und Reich
Benachteiligung und mangelnder Chancengleichheit.
Trotzdem kann man doch ins Grübeln kommen. Da sind all die eklatanten Unterschiede im Status der Völker, die hartnäckig fortbestehen. Man versichert uns, daß die scheinbar einleuchtende biologische Erklärung für die schon vor 500 Jahren unübersehbaren Ungleichheiten auf der Welt falsch sei, läßt aber offen, wie denn die richtige Erklärung lauten müßte. Bis uns eine überzeugende, detaillierte und weithin akzeptierte Erklärung des allgemeinsten Verlaufsmusters der Geschichte vorliegt, werden die meisten Menschen sicher weiter die Vermutung hegen, daß an der rassistischen biologischen Erklärung doch etwas dran sei. Und genau darin liegt für mich der Hauptgrund, dieses Buch zu schreiben.
Autoren werden von Journalisten regelmäßig gebeten, den Inhalt eines Buchs auf eine kurze Formel zu bringen. Sie könnte in diesem Fall so lauten: »Daß die Geschichte verschiedener Völker unterschiedlich verlief, beruht auf Verschiedenheiten der Umwelt und nicht auf biologischen Unterschieden zwischen den Völkern.«
Nun ist der Gedanke, daß Umwelt- und Biogeographie Einfluß auf die gesellschaftliche Entwicklung nehmen, keineswegs neu. Er ist aber in Historikerkreisen nicht sehr beliebt, da er angeblich falsch oder simplifizierend sei. Häufig wird er auch als Ökodeterminismus abgetan, oder die Suche nach einer schlüssigen Erklärung für die Unterschiede auf der Welt wird als zu schwieriges Unterfangen zurückgestellt. Daß die Geographie einen gewissen Einfluß auf den Verlauf der Geschichte hatte, ist indes unstrittig. Offen ist nur, wie stark dieser Einfluß war und ob die Geographie das allgemeine Verlaufsmuster der Geschichte zu erklären vermag.
Unterdessen geben neue Erkenntnisse aus wissenschaftlichen Disziplinen, die auf den ersten Blick wenig mit Geschichte zu tun haben, Anlaß zu einer erneuten Auseinandersetzung mit diesen Fragen. Von Bedeutung sind insbesondere: Genetik, Molekularbiologie und Biogeographie in bezug auf Kulturpflanzen und ihre wildwachsenden Vorgänger; die gleichen Disziplinen sowie die Verhaltensökologie in bezug auf domestizierte Tiere und ihre wilden Vorfahren; Molekularbiologie in bezug auf menschliche und verwandte tierische Krankheitserreger; Epidemiologie menschlicher Krankheiten; Humangenetik; Linguistik; archäologische Untersuchungen auf allen Kontinenten und großen Inseln; Untersuchungen zur Geschichte der Technik, der Schrift und der politischen Organisation.
Dieses breite Spektrum von Disziplinen wirft für ein Buch, das sich die Beantwortung von Yalis Frage zum Ziel setzt, erhebliche Probleme auf. So muß der Autor über Fachkenntnisse in allen obengenannten Disziplinen verfügen, um relevante neue Erkenntnisse in die von ihm vorzunehmende Synthese einbringen zu können. Geschichte und Vorgeschichte jedes Kontinents müssen ihm ebenso gründlich bekannt sein. Gegenstand des Buchs ist die Menschheitsgeschichte; es wird jedoch eine naturwissenschaftliche Betrachtungsweise zugrunde gelegt, bei der historische Naturwissenschaften wie Evolutionsbiologie und Geologie den Schwerpunkt bilden. Vom Autor muß überdies verlangt werden, daß er aus eigener Erfahrung eine Vielzahl menschlicher Kulturen kennt, von Jägern und Sammlern bis hin zu den modernen Zivilisationen des Weltraumzeitalters.
Diesen Anforderungen kann auf den ersten Blick nur ein Sammelband mit Beiträgen verschiedener Autoren gerecht werden. Ein solches Vorgehen wäre jedoch von Anfang an zum Scheitern verurteilt, da der Kern des Problems ja gerade die einheitliche Synthese ist. Deshalb führt trotz aller Schwierigkeiten kein Weg an einem Einzelautor vorbei. Dieser muß sich bis zum Hals in Arbeit stürzen und unermüdlich Material aus zahlreichen Disziplinen auswerten, wobei ihm der Rat ebenso zahlreicher Fachkollegen unverzichtbar ist.
Mein beruflicher Werdegang brachte mich mit mehreren der aufgeführten Disziplinen in Berührung, noch bevor mir Yali im Jahr 1972 seine Frage stellte. Meine Mutter ist Lehrerin und Linguistin, mein Vater Arzt und Spezialist für genetische Faktoren bei Kinderkrankheiten. Meinem Vater nacheifernd, wollte ich als Schüler ebenfalls Arzt werden. Mein brennendes Interesse galt aber daneben, seit ich sieben Jahre alt war, der Vogelkunde. Es war für mich deshalb ein leichter Entschluß, gegen Ende meines Grundstudiums vom Ziel des Medizinstudiums
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