Arm und Reich
Südamerika. Und die in Kunst, Astronomie und anderen Bereichen wohl fortgeschrittenste Zivilisation der Neuen Welt war die der Mayas im tropischen Yucatán und in Guatemala im 1. Jahrtausend n. Chr.
Ein dritter Antworttyp auf Yalis Frage bringt die Bedeutung von Flußtälern in Tieflandzonen mit Trockenklima ins Spiel, wo als Voraussetzung einer ertragreichen Landwirtschaft umfangreiche Bewässe rungssysteme errichtet werden mußten, die wiederum einer zentralistischen Bürokratie bedurften. Diese Erklärung wurde aus der unumstrittenen Tatsache abgeleitet, daß die ältesten bekannten Reiche und Schriftsysteme im Zweistromland von Euphrat und Tigris sowie im ägyptischen Niltal entstanden. Bewässerungssysteme gingen offenbar auch in anderen Regionen der Welt mit zentralisierter politischer Macht Hand in Hand, so im Industal auf dem indischen Subkontinent und in den Tälern des Gelben Flusses und des Jangtse in China, im Maya-Tiefland in Mittelamerika und in den Wüstengebieten an der Küste von Peru. Eingehende archäologische Studien ergaben jedoch, daß komplizierte Bewässerungssysteme nicht parallel zum Aufkommen zentralistischer Bürokratien entstanden, sondern diesen mit beträchtlicher Verzögerung folgten . Das bedeutet, daß zentralistische Staatswesen aus anderen Gründen entstanden, bevor sie dann die Errichtung komplizierter Bewässerungssysteme ermöglichten. Alle entscheidenden früheren Entwicklungen, die der Entstehung solcher Staatsgebilde in den besagten Regionen vorangingen, wiesen keinerlei Zusammenhang mit Flußtälern oder komplizierten Bewässerungssystemen auf. So lagen in dem Teil Vorderasiens, der aufgrund seiner geographischen Form als »Fruchtbarer Halbmond« bezeichnet wird, die Ursprünge von Landwirtschaft und Dorfgemeinschaften in Hügeln und Bergen, nicht aber in den Flußtälern des Tieflands. Das Niltal war noch 3000 Jahre nach dem Aufkeimen einer dörflichen Landwirtschaft in den Hügeln des Fruchtbaren Halbmonds kulturelle Provinz. In einigen Flußtälern im Südwesten der USA entwickelten sich zwar Bewässerungslandwirtschaft und komplexe Gesellschaften, aber erst nachdem viele der Errungenschaften, die dafür die Voraussetzung bildeten, aus Mexiko importiert worden waren. In den Flußtälern im Südosten Australiens lebten unterdessen Stammesgesellschaften, denen Landwirtschaft gänzlich fremd war.
Ein weiterer Erklärungstyp verweist auf die unmittelbaren Faktoren, die den Europäern die Ausrottung oder Unterwerfung anderer Völker ermöglichten, also insbesondere Gewehre und Kanonen, Epidemien europäischer Infektionskrankheiten, Stahlwerkzeuge und Industrieerzeugnisse. Diese Art der Erklärung führt auf die richtige Spur, da ja die aufgezählten Faktoren nachweislich in direktem Zusammenhang mit den Eroberungen der Europäer standen. Allerdings haben wir es noch mit einer unvollständigen Hypothese zu tun, da die Nennung unmittelbarer Ursachen lediglich die Vorstufe zu einer wirklichen Erklärung darstellen kann. Immerhin wird ein Anstoß für die Suche nach den eigentlichen Ursachen gegeben: Warum besaßen am Ende Europäer und nicht Afrikaner oder Indianer Gewehre und Kanonen, die bösartigsten Krankheitserreger und Werkzeuge aus Stahl?
Während bei dem Versuch, die eigentlichen Ursachen der Eroberung der Neuen Welt durch Europäer zu verstehen, gewisse Fortschritte erzielt wurden, gibt Afrika, über Jahrmillionen Stätte der menschlichen Evolution, an der auch der anatomisch moderne Mensch herangereift sein dürfte und wo Krankheiten wie Malaria und Gelbfieber europäische Entdecker dahinrafften, nach wie vor große Rätsel auf. Angesichts des gewaltigen zeitlichen Vorsprungs, den Afrika zweifelsohne besaß, stellt sich die Frage, warum Kanonen und Stahl nicht zuerst in Afrika auftauchten und den Afrikanern und ihren Krankheitserregern die Macht gaben, Europa zu erobern.
Und wie erklärt es sich, daß die australischen Aborigines das Stadium von Jägern und Sammlern mit Steinwerkzeugen nie verließen?
Fragen, die sich aus dem Vergleich menschlicher Kulturen in verschiedenen Regionen der Welt ergeben, stießen bei Historikern und Geographen früher auf großes Interesse. Die wohl bekannteste Arbeit dieser Art aus neuerer Zeit ist das mehrbändige Werk von Arnold Toynbee mit dem Titel Der Gang der Weltgeschichte [1] . Toynbees Interesse galt in erster Linie der inneren Dynamik von 23 Hochkulturen,
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