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Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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von denen 22 im Besitz der Schrift und 19 in Eurasien beheimatet waren. Weniger stark in­teressierte er sich dagegen für Vorgeschichte und für ein­fachere, schriftlose Kulturen. Dabei liegen die Wurzeln der heutigen Ungleichheit mit Sicherheit in vorgeschicht­lichen Zeiten. Toynbee stellte sich jedoch weder Yalis Frage, noch fand er eine Erklärung für das nach meiner Auffassung allgemeinste Verlaufsmuster der Geschichte. Andere Bücher zur Universalgeschichte beschäftigen sich ebenfalls vorrangig mit den eurasischen Hochkulturen der letzten 5000 Jahre; präkolumbianische indianische Kulturen werden wesentlich knapper abgehandelt, und der Rest der Welt erscheint bestenfalls am Rande, abge­sehen von seinen Berührungen mit eurasischen Zivili­sationen in der jüngeren Geschichte. Nach Toynbee sind Versuche, globale Synthesen historischer Kausalzusam­menhänge zu erarbeiten, bei den meisten Historikern in Ungnade gefallen, da sie Probleme aufwerfen, die sich ei­ner Lösung offenbar hartnäckig entziehen.
    Experten unterschiedlicher Disziplinen ist es inzwi­schen gelungen, in ihren jeweiligen Fachgebieten ent­sprechende Synthesen zu entwickeln. Besonders wert­volle Beiträge kommen von der Umweltgeographie, der Kulturanthropologie, der biologischen Forschung über Pflanzen- und Tierdomestikation sowie von einer For­schungsrichtung, die dem Einfluß von Infektionskrank­heiten auf den Lauf der Geschichte nachgeht. Solche Un­tersuchungen haben zwar Licht auf einzelne Elemen­te des Rätsels geworfen, doch eine allgemeine Synthese fehlt nach wie vor.
    Von einer weithin akzeptierten Antwort auf Yalis Fra­ge kann mithin nicht die Rede sein. Einerseits sind die unmittelbaren Ursachen klar: Einige Völker brachten schneller als andere Kanonen, Krankheitserreger, Stahl­werkzeuge und andere Dinge hervor, die ihnen politi­sche und wirtschaftliche Macht gaben, während man­che Völker überhaupt keine Anzeichen für Fortschritte in dieser Richtung erkennen ließen. Andererseits bleiben die eigentlichen Ursachen – also beispielsweise, warum Bronzewerkzeuge in einigen Regionen Eurasiens sehr früh auftauchten, in der Neuen Welt erst spät und nur vereinzelt, in Australien dagegen nie – unklar.
    Das gegenwärtige Fehlen grundlegender Erklärun­gen für diese ungleiche Entwicklung stellt eine schwere Wissenslücke dar, handelt es sich hier doch um das all­gemeinste Verlaufsmuster der Geschichte. Noch schlim­mer ist jedoch die moralische Lücke, die klafft, sprich das freie Feld, das rassistischen Interpretationen überlassen wird. Jeder, ob erklärter Rassist oder nicht, weiß um das höchst unterschiedliche Los der Völker in der Geschichte. So sind die USA eine Gesellschaft europäischer Prägung, errichtet auf Land, das den indianischen Ureinwohnern entrissen wurde, und mit einer Bevölkerung, zu der die Nachfahren von Millionen Schwarzafrikanern gehören, die als Sklaven nach Amerika geschafft wurden. Das mo­derne Europa ist keine Gesellschaft schwarzafrikanischer Prägung, in der die Nachfahren von Millionen von In­dianern leben, die als Sklaven dorthin kamen.
    Die Ergebnisse des Geschichtsverlaufs sind in ihrer Einseitigkeit kaum zu überbieten: Nein, es wurden nicht 51 Prozent der Fläche Amerikas, Australiens und Afri­kas von Europäern erobert und dafür 49 Prozent der Fläche Europas von Amerikanern, australischen Abori­gines oder Afrikanern. Die ganze moderne Welt wurde höchst einseitig geformt, und dafür muß es unwiderleg­liche Erklärungen geben, grundlegendere als solche, die sich mit dem Ausgang der einen oder anderen Schlacht oder dem Ursprung dieser oder jener Erfindung vor ei­nigen Jahrtausenden begnügen.
    Es scheint plausibel anzunehmen, der Geschichtsver­lauf sei Ausdruck angeborener Unterschiede zwischen den Völkern. Sicher, man hat uns gelehrt, daß es sich nicht ziemt, solche Gedanken in der Öffentlichkeit zu äußern. Aber immer wieder hört man von wissenschaft­lichen Untersuchungen, in denen solche angeborenen Unterschiede angeblich nachgewiesen werden, und na­türlich läßt eine Widerlegung wegen angeblicher me­thodischer Fehler nicht lange auf sich warten. Im Alltag erleben wir, daß die Nachfahren der einst unterjochten Völker noch heute eine Unterschicht bilden, Jahrhun­derte nach der Eroberung beziehungsweise nach der Verschleppung als Sklaven. Auch dies, so sagt man uns, habe mit biologischen Faktoren nichts zu tun, sondern sei nur Ausdruck sozialer

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