Arm und Reich
Vieh. Ähnlich anfällig sind wir für Krankheiten wilder Tiere wie etwa Tularämie, die sich Jäger gelegentlich beim Abhäuten von Hasen zuziehen. All diese Mikroben befinden sich noch in einem frühen Stadium ihrer Evolution zu spezialisierten menschlichen Krankheitserregern. Sie werden noch nicht direkt von einem Menschen auf den anderen übertragen, und selbst die Übertragung von Tieren auf Menschen ist noch die Ausnahme.
Im zweiten Stadium verändert sich ein ehemaliger tierischer Krankheitserreger mit der Zeit so, daß er direkt von Menschen auf Menschen übertragen werden kann, woraufhin Epidemien ausbrechen. Aus einem von mehreren Gründen enden solche Epidemien jedoch nach einiger Zeit, beispielsweise durch Behandlungserfolge der modernen Medizin oder weil jeder im Umkreis des Erregers bereits infiziert und immun wurde oder weil alle infiziert wurden und starben. So tauchte 1959 in Ostafrika eine zuvor unbekannte Krankheit auf, das sogenannte O’Nyongnyong-Fieber, an dem mehrere Millionen Afrikaner erkrankten. Es wurde wahrscheinlich von einem Affenvirus hervorgerufen, das Mücken auf Menschen übertrugen. Daß die Erkrankten rasch gesundeten und gegen weitere Ansteckung immun wurden, trug mit dazu bei, daß die neue Krankheit schnell wieder verschwand. In den USA tauchte im Sommer 1942 eine mysteriöse Krankheit auf, die als Fort-Bragg-Fieber bezeichnet wurde und bei der es sich um eine bis dahin unbekannte Form der Leptospirose handelte. Auch diese neue Krankheit war bald wieder vergessen.
Eine unheilbare, stets tödlich verlaufende Krankheit, die aus einem anderen Grund verschwand, war die durch Kannibalismus übertragene neuguineische Lachkrankheit, als deren Erreger ein langsam wirkendes Virus ermittelt wurde. Kuru, wie diese Krankheit auch hieß, war drauf und dran, den 20 000 Angehörige zählenden Stamm der Foré im Hochland von Neuguinea auszulöschen, als das Gebiet 1959 unter australische Verwaltung gestellt und daraufhin dem Kannibalismus (und damit auch der Übertragung von Kuru) ein Ende gesetzt wurde. Die Annalen der Medizin sind voll von Berichten über Krankheiten, die sich von allen heute auftretenden unterscheiden, einst jedoch schreckliche Epidemien auslösten und dann ebenso geheimnisvoll verschwanden, wie sie gekommen waren. Das Englische Schweißfieber, das Europa zwischen 1485 und 1552 in Angst und Schrecken versetzte, oder das Picardie-Schweißfieber, das im 18. und 19. Jahrhundert in Frankreich grassierte, sind nur zwei von vielen epidemischen Krankheiten, die in Vergessenheit gerieten, lange bevor die moderne Medizin Methoden zur Bestimmung ihrer Erreger entwickelte.
Ein drittes Stadium der Evolution unserer bekanntesten Infektionskrankheiten wird von ehemaligen tierischen Erregern verkörpert, die sich beim Menschen »etablieren« konnten, (noch?) nicht ausgestorben sind und bei denen offen ist, ob sie eines Tages zur tödlichen Bedrohung für uns werden. Noch sehr ungewiß ist beispielsweise die Zukunft des Lassa-Fiebers, das durch ein wahrscheinlich von Nagetieren übertragenes Virus hervorgerufen wird. Lassa-Fieber trat erstmals 1969 in Nigeria auf und führte dort zu einer oft tödlich verlaufenden Erkrankung, die so hochgradig ansteckend war, daß man dazu überging, die Krankenhäuser zu schließen, sobald auch nur ein einziger Fall auftrat. Besser etablieren konnte sich bisher die Lyme-Krankheit, die durch eine Spirochäte hervorgerufen wird. Übertragen wird diese Bakterie durch den Biß einer Zeckenart, die bei Mäusen und Rehen angetroffen wird. Obwohl die Erkrankung eines Menschen erstmals 1962 bekannt wurde, hat die Lyme-Krankheit in vielen Teilen der USA schon jetzt epidemische Ausmaße erreicht. Noch weniger gefährdet (aus der Sicht des Virus) ist die Zukunft des von einem Affenvirus abstammenden Aidserregers, der erstmals um 1959 bei einem Menschen nachgewiesen wurde.
Das Endstadium dieser Evolutionskette bilden die lange bekannten epidemischen Krankheiten, die nur beim Menschen auftreten. Sie müssen die Überlebenden einer weitaus größeren Zahl von Erregern sein, die den Sprung vom Tier zum Menschen versuchten, in der Mehrzahl aber scheiterten.
Was geschieht eigentlich in jenen Stadien, in denen eine reine Tierkrankheit zu einer rein menschlichen Krankheit wird? Eine Etappe ist der Wechsel des Zwischenüberträgers: Wenn beispielsweise eine Mikrobe, die sich eines Gliederfüßers als
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