Arm und Reich
wie von der anfänglichen Naivität der Azteken. Doch bei Cortés nächstem Anlauf wußten die Azteken, was sie von den Spaniern zu erwarten hatten, und begegneten ihnen mit entschlossenem, äußerst zähem Widerstand. Ausschlaggebend für den Sieg der Spanier war letztlich ein Pockenvirus, das 1520 von einem infizierten Sklaven aus Kuba eingeschleppt wurde. Die Epidemie, die daraufhin ausbrach, raffte beinahe die Hälfte der Azteken einschließlich ihres Herrschers Cuitlahuac dahin. Die Überlebenden waren demoralisiert von der rätselhaften Krankheit, die Indianer tötete, aber Spanier wie als Symbol ihrer Unbesiegbarkeit verschonte. Bis 1618 war die Bevölkerung Mexikos, die ursprünglich etwa 20 Millionen zählte, auf 1,6 Millionen geschrumpft.
Pizarro hatte ähnliches Glück, als er 1531 an der Küste von Peru landete, um mit 168 Mann das Inka-Reich mit seinen mehreren Millionen Untertanen zu erobern. Von großem Vorteil für Pizarro und tragisch für die Inkas war, daß im Jahr 1526 die Pocken auf dem Landweg eingetroffen waren. Der Seuche fiel ein großer Teil der Inka-Bevölkerung zum Opfer, einschließlich des Herrschers Huayna Capac und seines designierten Nachfolgers. Wie in Kapitel 2 geschildert, hatte die Verwaisung des Throns zur Folge, daß zwischen zwei anderen Söhnen von Huayna Capac, Atahualpa und Huascar, ein Streit um die Nachfolge entbrannte, der in einen regelrechten Bürgerkrieg mündete. Diese Spaltung machte sich Pizarro bei der Eroberung des Inka-Reichs zunutze.
Wird heute nach den einwohnerstärksten Zivilisationen der Neuen Welt vor 1492 gefragt, fallen den meisten von uns nur Azteken und Inkas ein. Vergessen wird dabei, daß in Nordamerika eine Reihe bevölkerungsreicher Zivilisationen in einem Gebiet existierten, wo man sie auch am ehesten vermuten würde, nämlich im Tal des Mississippi, dessen Böden heute zu den fruchtbarsten der USA zählen. Zum Untergang dieser Kulturen trugen die Konquistadoren jedoch nicht direkt bei; vielmehr wurde ihnen diese Arbeit von Krankheitserregern abgenommen, die ihnen vorauseilten. Als Hernando de Soto 1540 als erster europäischer Konquistador durch den Südosten der heutigen USA marschierte, fand er verlassene Städte vor, die erst zwei Jahre zuvor aufgegeben worden waren, da ihre Bewohner verheerenden Krankheitsepidemien zum Opfer gefallen waren. Eingeschleppt hatten diese Epidemien Indianer von der Küste, die dort mit Spaniern in Berührung gekommen waren. Somit reisten die Krankheitserreger der Spanier schneller landeinwärts als sie selbst.
De Soto hatte aber noch Gelegenheit, einige der dichtbesiedelten Städte am Unterlauf des Mississippi kennenzulernen. Nach seiner Expedition vergingen viele Jahre, bis wieder Europäer ins Mississippital kamen, aber das hielt die eurasischen Mikroben, die nun in Nordamerika Fuß gefaßt hatten, nicht davon ab, sich weiter auszubreiten. Bei der Ankunft der nächsten Europäer am unteren Mississippi – es handelte sich um französische Siedler, und das 17. Jahrhundert neigte sich dem Ende zu – waren fast sämtliche der großen Indianerstädte verschwunden. Ihre Überreste sind heute als die berühmten Erdwallanlagen des Mississippitals zu bewundern. Erst seit kurzem wissen wir, daß viele der Hügelbauer-Gesellschaften zum Zeitpunkt der Ankunft von Kolumbus in der Neuen Welt noch weitgehend intakt waren und daß ihr Zusammenbruch irgendwann zwischen 1492 und der systematischen Erforschung des Mississippi durch Europäer erfolgte, vermutlich ausgelöst durch Krankheitsepidemien.
Als ich klein war, lernten wir in der Schule, daß Nordamerika ursprünglich von nur rund einer Million Indianern bewohnt war. Diese geringe Zahl erleichterte die Rechtfertigung der Eroberung durch die Weißen, konnte man doch von einem nahezu unbesiedelten Kontinent sprechen. Archäologische Ausgrabungen und die Analyse von Berichten, die uns die ersten Europäer, die an den Küsten Nordamerikas landeten, hinterließen, belegen indes, daß die wahre Zahl eher bei 20 Millionen lag. Nach Schätzungen schrumpfte die indianische Bevölkerung der Neuen Welt innerhalb von ein bis zwei Jahrhunderten nach der Ankunft von Kolumbus um etwa 95 Prozent.
Die häufigste Todesursache waren Krankheiten aus der Alten Welt, mit denen die Indianer zuvor nicht in Berührung gekommen waren und gegen die sie deshalb weder Immunkräfte noch eine genetische Abwehr besaßen. Pocken,
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