Arm und Reich
Masern, Grippe und Typhus führten die Liste der Todbringer an. Als wäre das nicht genug, folgten Diphtherie, Malaria, Mumps, Keuchhusten, Pest, Tbc und Gelbfieber auf dem Fuße. In zahllosen Fällen wurden die weißen Ankömmlinge Zeugen der Massaker, die ihre Krankheitserreger unter den Indianern anrichteten. So wurden 1837 die Mandan, ein Prärieindianerstamm mit hochentwickelter Kultur, mit Pocken infiziert, die ein Dampfschiff mitgebracht hatte, das von St. Louis den Missouri hinauffuhr. In einem der Mandan-Dörfer schrumpfte die Bevölkerung binnen weniger Wochen von 2000 auf weniger als 40 Einwohner.
Während über ein Dutzend Infektionskrankheiten aus der Alten Welt in der Neuen Welt seßhaft werden konnten, gelangte möglicherweise keine einzige tödliche Krankheit amerikanischen Ursprungs nach Europa. Eine Ausnahme war vielleicht die Syphilis, deren Herkunft aber noch umstritten ist. Diese Einseitigkeit des Erregeraustauschs ist um so verblüffender, wenn man bedenkt, daß große, dichte Populationen eine der Voraussetzungen für die Evolution unserer typischen Infektionskrankheiten sind. Sollten die jüngsten Erkenntnisse über die Bevölkerungszahl der präkolumbianischen Neuen Welt zutreffen, so lag diese nicht sehr weit unter der damaligen Bevölkerungszahl Eurasiens. Einige Städte der Neuen Welt, wie Tenochtitlan, zählten sogar zu den bevölkerungsreichsten der Erde. Woran lag es dann, daß in Tenochtitlan keine bösartigen Krankheitserreger auf die Spanier warteten?
Ein Grund könnte darin liegen, daß der Aufstieg menschlicher Populationen mit hoher Siedlungsdichte in der Neuen Welt später begann als in der Alten Welt.
Als weiterer Grund wäre zu nennen, daß die drei wichtigsten Bevölkerungszentren Amerikas – die Anden, Mesoamerika und das Mississippital – nie durch regelmäßigen Handelsaustausch verbunden und somit zu einer gemeinsamen Brutstätte für Mikroben vereint wurden, wie es in römischer Zeit mit Europa, Nordafrika, Indien und China geschah. Diese Faktoren erklären aber immer noch nicht, warum in der Neuen Welt offenbar keine einzige tödliche Infektionskrankheit entstand. (Zwar wurde in der Mumie eines vor 1000 Jahren gestorbenen peruanischen Indianers Tuberkulose-DNS nachgewiesen, aber das verwendete Analyseverfahren unterschied nicht zwischen menschlicher Tuberkulose und dem eng verwandten, bei Wildtieren verbreiteten Erreger Mycobacterium bovis .) Bei der Lösung dieses Rätsels bringt uns eine simple Frage weiter: Aus welchen Mikroben hätten die gefährlichen Krankheiten der Indianer eigentlich entstehen sollen? Wir haben gesehen, daß eurasische Infektionskrankheiten sich aus Krankheiten domestizierter eurasischer Herdentiere entwickelten. Im Gegensatz zur Vielzahl derartiger Tierarten in Eurasien wurden in Nordund Südamerika von allen Abteilungen des Tierreichs nur ganze fünf Arten domestiziert: der Truthahn in Mexiko und im amerikanischen Südwesten, das Lama/Alpaka und das Meerschweinchen in den Anden, die Moschusente im tropischen Südamerika und der Hund in ganz Nord- und Südamerika.
Dieser krasse Mangel an Haustieren in der Neuen Welt ist wiederum Ausdruck eines Mangels an biologischem »Rohmaterial«. Etwa 80 Prozent der großen Säugetiere Nord- und Südamerikas starben am Ende der letzten Eiszeit vor rund 13 000 Jahren aus. Die wenigen Domestikationskandidaten, die den Indianern danach verblieben, bildeten im Vergleich zu Schweinen und Rindern kein sonderlich geeignetes Reservoir für die Entstehung von Massenkrankheiten. So leben Moschusenten und Truthähne weder in großen Schwärmen, noch eignen sie sich als Schmusetiere (wie beispielsweise junge Lämmer), mit denen wir gerne körperlichen Kontakt pflegen. Meerschweinchen trugen möglicherweise eine Trypanosomeninfektion, wie die Chagas-Krankheit, oder die Leishmaniase zum Inventar unserer Krankheiten bei, doch selbst das ist nicht bewiesen. Am meisten überrascht aber das Fehlen von Krankheiten, die von Lamas (oder Alpakas) auf den Menschen übertragen wurden, könnte man doch in diesen Arten so etwas wie ein südamerikanisches Pendant zu eurasischen Vieharten sehen. Vier Gründe sprechen jedoch dagegen, daß von Lamas Krankheiten auf Menschen übertragen wurden: Sie wurden nicht in vergleichbar großen Herden gehalten wie Schafe, Ziegen und Schweine; ihre Gesamtzahl entsprach nicht annähernd der von eurasischen Haustierpopulationen,
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