Arm und Reich
beträchtlicher Isolation von ihren Ahnen-Gesellschaften in Asien, was sich unter anderem in den heute gesprochenen Sprachen widerspiegelt. Nach den vielen Jahrtausenden der Isolation weisen weder die heutigen Sprachen der australischen Aborigines noch die wichtigste Sprachengruppe Neuguineas (die der sogenannten Papua-Sprachen) deutliche Ähnlichkeiten mit irgendeiner modernen asiatischen Sprache auf. Der Grad der Isolation findet auch in den Genen und der physischen Anthropologie Ausdruck. Erbbiologische Untersuchungen deuten darauf hin, daß australische Aborigines und neuguineische Hochlandbewohner eine etwas größere Ähnlichkeit mit modernen Asiaten aufweisen als mit Völkern anderer Kontinente, wobei sie aber keineswegs eng miteinander verwandt sind. Auch im Skelettbau und in der physischen Erscheinung unterscheiden sich australische Aborigines und Neuguineer deutlich von den meisten Völkern Südostasiens – man vergleiche nur Fotos von Australiern oder Neuguineern mit denen von Indonesiern oder Chinesen. Eine Erklärung für all diese Unterschiede liegt darin, daß die asiatischen Erstbesiedler Großaustraliens viel Zeit hatten, um sich gegenüber ihren daheimgebliebenen Vettern zu verändern. Ein noch wichtigerer Grund dürfte aber gewesen sein, daß die ursprünglichen Bewohner Südostasiens, aus denen sich die Kolonisten Großaustraliens rekrutiert hatten, inzwischen weitgehend von anderen asiatischen Völkern, die in späteren Expansionswellen aus China einwanderten, verdrängt wurden.
Auch australische Aborigines und Neuguineer selbst entwickelten sich in genetischer, physischer und sprachlicher Hinsicht auseinander. So treten die Blutgruppe B des sogenannten ABO-Systems und die Blutgruppe S des MNS-Systems in Neuguinea und den meisten anderen Teilen der Welt auf, in Australien aber so gut wie gar nicht. Das krause Haar der meisten Neuguineer steht im Kontrast zu dem glatten oder welligen Haar der meisten Aborigines. Die australischen Sprachen und die neuguineischen Papua-Sprachen lassen nicht nur jede Verwandtschaft mit asiatischen Sprachen, sondern auch untereinander vermissen, sieht man von einigen Begriffen ab, die über die Torresstraße Eingang in den jeweils anderen Wortschatz fanden.
All diese Unterschiede zwischen Australiern und Neuguineern sind Folgen einer langen Phase der Isolation unter sehr unterschiedlichen Umweltbedingungen. Nachdem Australien und Neuguinea durch den Anstieg der Arafurasee vor etwa 10 000 Jahren voneinander getrennt wurden, beschränkte sich der genetische Austausch auf sporadische Kontakte über die Kette der Inseln in der Torresstraße. Dadurch konnten sich die Populationen der beiden Halbkontinente an die jeweils eigene Umwelt anpassen. Mögen die Savannen und Mangrovenwälder an der Südküste Neuguineas denen an der australischen Nordküste noch recht ähnlich sein, so unterscheiden sich die übrigen Lebensräume der beiden Landmassen in fast jeder Hinsicht.
Ich will nur einige dieser Unterschiede nennen. Neuguinea liegt beinahe genau auf dem Äquator, während Australien weit in die gemäßigten Breiten hineinreicht (fast bis 40 Grad südlicher Breite). Neuguinea ist gebirgig und sehr zerklüftet; seine höchsten Gipfel sind über 5000 Meter hoch und von Gletschern bedeckt. Australien dagegen besteht überwiegend aus flachem Tiefland – 94 Prozent seiner Fläche erheben sich weniger als 600 Meter über den Meeresspiegel. Neuguinea zählt zu den niederschlagreichsten Regionen der Welt, Australien zu den trockensten. Im größten Teil Neuguineas fallen über 2500 mm Niederschlag im Jahr und in einem großen Teil des Hochlands sogar über 5000 mm, in Australien weniger als 500 mm. Das äquatoriale Klima Neuguineas kennt nur geringe Schwankungen im Jahresverlauf und von Jahr zu Jahr. Australiens Klima weist dagegen hohe jahreszeitliche Schwankungen und weit größere Unterschiede von einem Jahr zum nächsten auf als irgendein anderer Kontinent. Entsprechend ist Neuguinea von großen, ständig fließenden Flüssen durchzogen, während die australischen Flüsse in den meisten Jahren nur im Osten des Kontinents ganzjährig Wasser führen, wobei selbst das größte Stromsystem Australiens, der Murray und seine Nebenflüsse, in Dürreperioden für Monate austrocknen kann. Während Neuguinea überwiegend von dichtem Regenwald bedeckt ist, findet man im größten Teil Australiens nur Wüste und
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