Arm und Reich
stammende Süßkartoffel erreichte Neuguinea offenbar erst innerhalb der letzten Jahrhunderte, nachdem die Spanier sie auf den Philippinen eingeführt hatten. Einmal in Neuguinea etabliert, überholte die Süßkartoffel bald Taro als wichtigstes Anbaugewächs der Hochlandbewohner. Die Gründe dafür lagen in der kürzeren Wachs tumszeit bis zur Reife, den höheren Pro-Hektar-Erträgen und dem besseren Gedeihen auf schlechten Böden.
Die Entstehung der Landwirtschaft im Hochland von Neuguinea muß vor einigen tausend Jahren eine gewaltige Bevölkerungsexplosion ausgelöst haben, denn nach der Ausrottung der einstigen Großtierwelt aus Riesenbeuteltieren konnte diese Region nur sehr dünne Populationen von Jägern und Sammlern ernähren. Zu einer weiteren Bevölkerungexplosion gab die Ankunft der Süßkartoffel vor wenigen Jahrhunderten den Anstoß. Als Europäer in den 30er Jahren dieses Jahrhunderts erstmals mit dem Flugzeug über das neuguineische Hochland flogen, erblickten sie zu ihrem Erstaunen unter sich eine Landschaft, die sie an Holland erinnerte. Breite Täler waren vollständig gerodet und mit vielen kleinen Dörfern wie mit Punkten übersät; eingezäunte, entwässerte Felder erstreckten sich in manchen Tälern von einem Rand zum anderen. Dieses Landschaftsbild kündet von der hohen Siedlungsdichte von Hochlandbauern, die nur über Steinwerkzeuge verfügten.
Steiles Terrain, Dauerbewölkung, Malaria und die Gefahr von Dürren in tieferen Lagen bewirken, daß Landwirtschaft im neuguineischen Hochland nur in über 1200 Meter Höhe getrieben werden kann. Dieses Gebiet ragt wie eine dichtbevölkerte Insel aus einem Wolkenmeer empor. Im neuguineischen Tiefland leben die Menschen an der Küste und entlang der großen Flüsse seßhaft in Dörfern und ernähren sich hauptsächlich von Fisch, während im dünnbesiedelten Inland Brandrodungsfeldbau mit Bananen und Jamswurzeln als Grundnahrungsmitteln betrieben wird, ergänzt durch Jagen und Sammeln. Im Unterschied dazu ziehen die Bewohner der Sumpfgebiete als Jäger und Sammler umher und ernähren sich hauptsächlich von dem stärkehaltigen Mark wilder Sagopalmen, eines äußerst ertragreichen Gewächses, das pro Arbeitsstunde eine Ernte von dreimal soviel Kalorien ermöglicht wie beim Anbau von Obst oder Gemüse. Die Sümpfe Neuguineas stehen somit für eine Umwelt, in der sich die Lebensweise der Jäger und Sammler behauptete, weil sie der Landwirtschaft überlegen war.
Die politische Organisation der Sagoesser der Tieflandsümpfe ist ein Beispiel für nomadische Jäger-Sammler-Gruppen, wie sie einst für alle Neuguineer typisch gewesen sein müssen. Aus den in Kapitel 12 und 13 erörterten Gründen waren es die bäuerlichen beziehungsweise Fischfang treibenden Völker, die komplexere Techniken, Gesellschaften und politische Organisationsformen entwickelten. Sie leben in festen Dörfern und Stammesgesellschaften, häufig mit einem »Bigman« an der Spitze. Manche errichten große Kulthäuser mit kunstvollen Verzierungen. Ihre hölzernen Statuen und Masken werden auf der ganzen Welt gepriesen und in zahlreichen Museen ausgestellt.
Neuguinea wurde somit zu dem Teil Großaustraliens, in dem die Technik, die soziale und politische Organisation und die Kunst den höchsten Entwicklungsstand erreichten. Aus der Sicht amerikanischer oder europäischer Großstädter ist Neuguinea dennoch als »primitiv« und nicht »hoch entwickelt« einzustufen. Woran lag es, daß die Neuguineer bis zuletzt nur Steinwerkzeuge besaßen, statt metallene herzustellen? Warum blieben sie Analphabeten? Und warum gründeten sie keine Häuptlingsreiche und Staaten? Wie wir sehen werden, standen dem eine Reihe biologischer und geographischer Faktoren im Weg.
Der erste hängt mit der Nahrungsproduktion zusammen. Das neuguineische Hochland war zwar eine der Geburtsstätten der Landwirtschaft, doch die erzeugte Proteinmenge war recht gering (siehe Kapitel 7). Hauptnahrungspflanzen waren Wurzelfrüchte mit sehr niedrigem Eiweißgehalt, und auch die Haustierzucht (Schweine und Hühner) vermochte keinen größeren Beitrag zur Eiweißversorgung der Bevölkerung zu leisten. Da sich weder Schweine noch Hühner als Zugtiere vor Wagen spannen lassen, waren die neuguineischen Hochlandbewohner überdies ganz auf die eigene Muskelkraft angewiesen. Sie konnten auch keine epidemischen Krankheiten entwickeln, um damit eines
Weitere Kostenlose Bücher