Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
Vom Netzwerk:
erblicken. Wie sonst ließe sich erklären, daß weiße englische Ko­lonisten ein alphabetisiertes, demokratisches Gemein­wesen mit Landwirtschaft und Industrie binnen weniger Jahrzehnte nach der Besiedlung eines Kontinents schu­fen, dessen Bewohner nach über 40 000 Jahren immer noch auf der Stufe analphabetischer Jäger und Sammler standen? Besonders erstaunlich ist in dem Zusammen­hang, daß Australien die größten Eisen- und Alumini­umvorkommen der Welt und reiche Vorräte an Kupfer, Zinn, Blei und Zink besitzt. Wie kam es da, daß die Ab­origines noch in der Steinzeit lebten?
    Es erscheint wie ein perfekt kontrolliertes Experiment zur Evolution menschlicher Gesellschaften. Der Kon­tinent war der gleiche, nur die Akteure waren andere. Ergo muß die Erklärung für die Unterschiede zwischen Aborigines und europäisch­australischen Gesellschaf­ten bei den verschiedenen Völkern, die sie bilden, zu suchen sein. Die Logik, die diesem rassistischen Schluß zugrunde liegt, erscheint zwingend. Wie wir sehen wer­den, enthält sie jedoch einen ebenso simplen wie ent­scheidenden Fehler.
    Um diese Frage näher zu beleuchten, wollen wir zu­nächst die Herkunft der an dem »Experiment« beteilig­ten Völker betrachten. Australien und Neuguinea wa­ren beide vor spätestens 40 000 Jahren, als sie noch ge­meinsam den Kontinent Großaustralien bildeten, von Menschen besiedelt. Ein Blick auf die Landkarte (Ab­bildung 14.1) legt die Vermutung nahe, daß die Koloni­sten aus Südostasien stammten und den Weg über den indonesischen Archipel nahmen, den sie durch »In­selhüpfen« überwanden. Dieser Schluß wird gestützt durch die genetische Verwandtschaft zwischen moder­nen Australiern, Neuguineern und Asiaten, aber auch durch das Überleben einer kleinen Zahl von Populatio­nen bis in die Gegenwart, die gewisse Ähnlichkeiten in der physischen Erscheinung aufweisen (auf den Philip­pinen, der Malaiischen Halbinsel und einigen Inseln in der Andamanensee vor der Küste Birmas).
    Nach der Landung in Großaustralien ergriffen die ersten Kolonisten rasch von dem gesamten Kontinent Besitz und drangen auch in seine entlegensten Regio­nen und unwirtlichsten Lebensräume vor. Fossilien und Steinwerkzeuge belegen ihre Anwesenheit in Australi­ens Südwesten vor mindestens 40 000 Jahren, im Süd­osten und auf Tasmanien, der am weitesten von dem ver­muteten Brückenkopf in Westaustralien oder Neugui­nea (den Teilen Australiens, die Indonesien und Asien am nächsten liegen) entfernten Region des Kontinents, vor mindestens 35 000 Jahren und im kühlen Hochland Neuguineas vor mindestens 30 000 Jahren. All diese Ge­biete waren von einem Brückenkopf im Westen auf dem Landweg zu erreichen. Die Besiedlung des Bismarckar­chipels und der Salomoninseln nordöstlich von Neu­guinea vor mindestens 35 000 Jahren erforderte jedoch weitere Wasserüberquerungen über Distanzen von meh­reren Dutzend Kilometern. Die Besiedlung Australiens könnte sogar noch schneller als innerhalb von 10 000 Jahren erfolgt sein, da sich die verschiedenen Zeitpunk­te unter Einbeziehung des Fehlerintervalls, das bei der Datierung nach der Radiokarbon-Methode zu berück­sichtigen ist, kaum unterscheiden.
    Als Australien und Neuguinea im Eiszeitalter erstmals von Menschen besiedelt wurden, erstreckte sich der asia­tische Kontinent nach Osten ungefähr bis dort, wo heute die Inseln Borneo, Java und Bali liegen; damit reichte er etwa 1500 Kilometer näher an Australien und Neugui­nea heran als das heutige Südostasien. Um von Borneo oder Bali zum eiszeitlichen Großaustralien zu gelangen, mußten aber immer noch mindestens acht Meerengen von bis zu 80 Kilometern Breite überquert werden. Vor 40 000 Jahren dienten dazu möglicherweise Bambusflöße– einfache, aber seetüchtige Gefährte, wie sie noch heute an den Küsten Südchinas in Gebrauch sind. Dennoch muß jede Überfahrt ein recht schwieriges Unternehmen gewesen sein, was schon daran abzulesen ist, daß nach der ursprünglichen Landung vor 40 000 Jahren mehre­re Zehntausend Jahre lang keine weiteren Neuankömm­linge Großaustralien erreichten, jedenfalls gibt es dafür keine überzeugenden archäologischen Hinweise. Erst in den letzten Jahrtausenden tauchten die nächsten zuver­lässigen Indizien in Form von Schweinen in Neuguinea und Hunden in Australien auf, die beide nur aus Asien stammen konnten.
    Mithin entwickelten sich die menschlichen Gesell­schaften Australiens und Neuguineas in

Weitere Kostenlose Bücher