Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
Vom Netzwerk:
Tages die europäischen Eindringlinge abzuwehren.
    Ein zweiter Faktor, der die Bevölkerungsgröße der Hochlandbewohner beschränkte, war die Knappheit der Anbauflächen: Im Hochland von Neuguinea gibt es nur wenige breite, zur dichten Besiedlung geeignete Täler, insbesondere das Wahgi- und das Baliemtal. Eine dritte Beschränkung lag darin, daß nur mittlere Höhenlagen zwischen 1200 und 2700 Metern für eine intensive land­wirtschaftliche Nutzung in Frage kamen. Oberhalb von 2700 Metern wurde in Neuguinea überhaupt keine Land­wirtschaft getrieben, auf Hangflächen zwischen 300 und 1200 Metern nur in begrenztem Umfang und im Tiefland lediglich in Form von Brandrodungsfeldbau. Ein inten­siver Austausch landwirtschaftlicher Erzeugnisse zwi­schen Gruppen, die sich in verschiedenen Höhenlagen auf unterschiedliche Arten der Nahrungsmittelproduk­tion spezialisierten, konnte deshalb in Neuguinea nicht entstehen. In den Anden, den Alpen und im Himalaja führte ein solcher Austausch dagegen nicht nur zur Er­höhung der Bevölkerungsdichte, indem die Bewohner al­ler Höhenlagen mit einer ausgewogeneren Kost versorgt wurden, sondern er förderte auch die wirtschaftliche und politische Integration der jeweiligen Region.
    Aus all diesen Gründen stieg die Bevölkerung des traditionellen Neuguinea nie über eine Million, bevor die europäischen Kolonialherren westliche Medizin ins Land brachten und die Stammeskriege beendeten. Von den neun in Kapitel 4 aufgeführten Gebieten, in denen die Landwirtschaft unabhängig entstand, blieb Neugui­nea mit Abstand das bevölkerungsärmste. Mit nur rund einer Million Einwohnern konnte Neuguinea unmög­lich mit der Entwicklung von Technik, Schrift und po­litischen Systemen in China, Vorderasien, den Anden und Mesoamerika mithalten, wo viele Millionen Men­schen lebten.
    Neuguinea zählt aber nicht nur insgesamt wenig Ein­wohner, sondern darüber hinaus wird seine Bevölkerung durch das unwegsame Gelände in Tausende von Grup­pen und Grüppchen zersplittert: Sümpfe bedecken ei­nen Großteil des Tieflands, das Hochland ist von steilen Bergkämmen und engen Canons durchzogen, und fast die ganze Insel ist mit dichtem Urwald bekleidet. Wenn ich in Neuguinea biologische Feldforschung unterneh­me und mit einer Gruppe einheimischer Helfer durch den Dschungel ziehe, betrachte ich eine Tagesleistung von fünf Kilometern als hervorragend, selbst wenn wir auf vorhandenen Pfaden marschieren. Die meisten Be­wohner traditioneller Dörfer im neuguineischen Hoch­land haben sich nie weiter als 15 Kilometer von ihrem Geburtsort entfernt.
    Diese Unwegsamkeit in Verbindung mit häufigen Stammeskriegen, die für die Beziehungen zwischen neu­guineischen Nomadenverbänden oder Dörfern kenn­zeichnend waren, erklären die sprachliche, kulturelle und politische Zersplitterung des traditionellen Neugui­nea. Neuguinea weist mit Abstand die höchste Konzen­tration von Sprachen auf: Von den 6000 Sprachen der Welt werden hier, in einem Gebiet nur wenig größer als Texas, etwa 1000 gesprochen, untergliedert in Dutzen­de von Sprachfamilien und isolierte Einzelsprachen, die einander so wenig ähneln wie Englisch und Chinesisch. Fast die Hälfte der Sprachen Neuguineas haben weniger als 500 Sprecher, und selbst die größten Sprachgruppen (mit etwa 100 000 Sprechern) waren politisch in Hun­derte von Dörfern zersplittert, die miteinander ebenso verfehdet waren wie mit Sprechern anderer Sprachen. Jede dieser Minigesellschaften war für sich genommen viel zu klein, um Häuptlinge und Spezialisten miternäh­ren oder Metallverarbeitung und Schrift hervorbringen zu können.
    Außer durch eine kleine, in unzählige Grüppchen ge­spaltene Bevölkerung wurde die Entwicklung in Neugui­nea durch die geographische Isolation behindert, die den Zustrom neuer Techniken und Ideen von außen stark einschränkte. Von seinen drei Nachbarn war Neugui­nea durch das Meer getrennt, und bis vor wenigen tau­send Jahren waren alle drei in der technischen und land­wirtschaftlichen Entwicklung noch weniger fortgeschrit­ten als Neuguinea (und insbesondere das neugui neische Hochland). Von den Bewohnern dieser drei Nachbarre­gionen verharrten die australischen Aborigines auf der Stufe von Jägern und Sammlern, die den Neuguineern kaum etwas anzubieten hatten, was diese nicht schon be­saßen. Bei dem zweiten Nachbarn handelte es sich um die wesentlich kleineren Inseln des Bismarck- und Sa­lomonarchipels im Osten. Damit

Weitere Kostenlose Bücher