Arm und Reich
Sahelzone heimisch zu machen. Statt dessen finden wir dort zwei Gruppen afrikanischer Anbaupflanzen, deren wilde Vorfahren unmittelbar südlich der Sahara vorkommen und an sommerliche Niederschläge und geringere jahreszeitliche Schwankungen der Tageslänge angepaßt sind. Die eine Gruppe besteht aus Pflanzen, deren Vorfahren in der Sahelzone von Westen nach Osten weit verbreitet sind und die wahrscheinlich auch in diesem Raum domestiziert wurden. Hierzu zählen insbesondere Sorghum und Perlhirse, die in großen Teilen Afrikas südlich der Sahara eine wichtige Rolle in der Landwirtschaft spielen. Sorghum erwies sich als so nützliches Anbaugewächs, daß es mittlerweile auf allen Kontinenten in Regionen mit heißem, trockenem Klima angebaut wird, auch in den USA.
Abbildung 18.3 Ursprungsgebiete traditionell in Afrika angebauter Kulturpflanzen (d.h. vor Ankunft der Kulturpflanzen europäischer Kolonisten), mit zwei Beispielen für jedes Gebiet .
Die andere Gruppe besteht aus Pflanzen, deren wilde Vorfahren in Äthiopien vorkommen und vermutlich im äthiopischen Hochland domestiziert wurden. Die meisten werden auch heute noch ausschließlich in Äthiopien angebaut und sind Amerikanern und Europäern unbekannt – zu ihnen zählen unter anderem rauscherzeugende Samenkörner, Gewächse mit bananenartigen Früchten (Ensete), die zum Bierbrauen verwendete Fingerhirse und Teff, eine Getreidesorte mit winzigen Samenkörnern, aus der in Äthiopien Brot gebacken wird. Jeder kaffeesüchtige Leser kann sich bei den alten Äthiopiern für die Domestikation des Kaffeestrauchs bedanken. Seine Verbreitung blieb auf Äthiopien beschränkt, bis er in Arabien Fuß faßte und schließlich seinen Siegeszug um die Welt antrat; heute ist er in vielen Ländern, von Brasilien bis Neuguinea, von überragender wirtschaftlicher Bedeutung.
Die vorletzte Gruppe afrikanischer Anbaupflanzen entwickelte sich im feuchtheißen Klima Westafrikas aus wildwachsenden Vorfahren. Einige, darunter afrikanischer Reis, blieben praktisch auf diese Region beschränkt. Andere, etwa die afrikanische Jamswurzel, konnten sich auch in anderen Gebieten Afrikas südlich der Sahara etablieren, und zwei weitere, Ölpalme und Kolanuß, schafften sogar den Sprung auf andere Kontinente. Die koffeinhaltigen Samen der Kolanuß wurden in Westafrika als Rauschmittel gekaut, lange bevor die Coca-Cola-Company erst die Amerikaner und dann den Rest der Welt nach einem Erfrischungsgetränk verrückt machte, dem in seiner ursprünglichen Form Extrakte aus der Kolanuß beigemischt waren.
Die letzte Gruppe afrikanischer Anbaupflanzen ist ebenfalls an ein feuchtes Klima angepaßt, sorgt aber in Abbildung 18.3 für die größte Überraschung. Bananen, asiatische Jamswurzeln und Taro waren in Afrika südlich der Sahara schon im 15. Jahrhundert weit verbreitet, und an der Küste Ostafrikas wurde asiatischer Reis angebaut. Doch beheimatet waren diese Gewächse in Südostasien. Ihre Präsenz in Afrika würde uns in helles Erstaunen versetzen, hätte uns nicht schon die Anwesenheit von Indonesiern auf Madagaskar mit Afrikas prähistorischer asiatischer »Connection« bekannt gemacht. Fuhren Austronesier von Borneo zur Küste Ostafrikas, überließen dankbaren afrikanischen Bauern ihre Kulturpflanzen, nahmen afrikanische Fischer an Bord und stachen im Abendrot wieder in See, um Madagaskar zu besiedeln, ohne weitere austronesische Spuren in Afrika zu hinterlassen?
Die verbliebene Überraschung besteht darin, daß der Ursprung sämtlicher heimischer Anbaupflanzen Afrikas – jener der Sahelzone, Äthiopiens und Westafrikas – nördlich des Äquators lag. Kein einziges afrikanisches Kulturgewächs war südlich des Äquators beheimatet. Dies läßt schon ahnen, warum Sprecher von Niger-Kongo-Sprachen, die aus Gebieten nördlich des Äquators stammten, in der Lage waren, die äquatorialafrikanischen Pygmäen und die Khoisan-Völker südlich des Äquators aus ihrer angestammten Heimat zu verdrängen. Daß weder Khoisan noch Pygmäen eine eigene Landwirtschaft entwickelten, lag nicht an ihrer Unzulänglichkeit als Bauern, sondern einzig und allein daran, daß die meisten Wildpflanzen des südlichen Afrika für die Domestikation nicht in Frage kamen. Weder Bantu-Bauern noch weißen Farmern, den Erben einer jahrtausendealten landwirtschaftlichen Tradition, gelang es später, aus heimischen Gewächsen des südlichen Afrika neue
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