Arm und Reich
eingetroffene austronesische Sprache Madagaskars bleibt hier außer acht) beruht sicher nicht auf einer ihnen innewohnenden Überlegenheit als Mittel der Kommunikation. Es muß vielmehr einem Zufall der Geschichte zugeschrieben werden: Die Ahnen der Sprecher von nilosaharischen, Niger-Kongo- und afroasiatischen Sprachen lebten zufällig zur rechten Zeit am rechten Ort, um in den Besitz von Haustieren und domestizierten Pflanzen zu gelangen, die es ihnen erlaubten, sich stärker zu vermehren und anderen Völkern ihre Lebensräume abspenstig zu machen oder ihnen wenigstens ihre Sprache aufzuzwingen. Die wenigen Khoisan-Sprecher, die bis in die Neuzeit überlebt haben, verdanken dies vor allem dem Umstand, daß sie abgelegene Gebiete im südlichen Afrika bewohnen, die für die Landwirtschaft der Bantu ungeeignet sind.
Bevor wir die Geschichte der Khoisan-Völker in die Zeit vor dem Einströmen der Bantu zurückverfolgen, wollen wir zuerst einmal sehen, welche Erkenntnisse die Archäologie hinsichtlich der anderen großen prähistorischen Völkerverschiebung Afrikas – der Besiedlung Madagaskars durch Austronesier – für uns bereithält. Bei Forschungsarbeiten auf Madagaskar fanden Archäologen heraus, daß austronesische Kolonisten spätestens um 800 n. Chr., vielleicht aber schon um 300 n. Chr. auf der Insel eintrafen. Dort begegneten sie einer Welt fremdartiger Tiere (und begannen sofort mit ihrer Ausrottung), die so exotisch waren, als kämen sie von einem anderen Stern – das Ergebnis ihrer langen Evolution in madagassischer Abgeschiedenheit. Unter anderem trafen sie auf riesige Elefantenvögel, primitive Primaten von der Größe von Gorillas, Lemuren genannt, und Zwergflußpferde. Bei Ausgrabungen an Stätten der ältesten menschlichen Siedlungen auf Madagaskar kamen Überreste von Eisenwerkzeugen, Vieh und Anbaupflanzen zum Vorschein, was davon kündet, daß es sich bei den Kolonisten nicht bloß um eine Kanuladung Fischer handelte, die vom Kurs abgekommen waren, sondern um eine regelrechte Expedition. Wie kam es zu einem solchen prähistorischen Unternehmen über eine Entfernung von mehr als 6000 Kilometern?
Einen Hinweis liefert ein alter Reiseführer für die Seefahrt auf dem Indischen Ozean, der Periplus maris Erythraei , verfaßt von einem unbekannten Kaufmann, der um 100 n. Chr. in Ägypten lebte. Darin wird ein blühender Seehandel zwischen Indien, Ägypten und der Küste Ostafrikas geschildert. Mit der Ausbreitung des Islam ab etwa 800 n. Chr. beginnt eine Zeit, für die der transozeanische Handel durch Funde großer Mengen nahöstlicher (und zuweilen sogar chinesischer!) Erzeugnisse wie Töpferwaren, Glas und Porzellan in Siedlungen entlang der ostafrikanischen Küste archäologisch gut dokumentiert ist. Die Händler warteten auf günstige Winde, die es ihnen ermöglichten, den Indischen Ozean zwischen Ostafrika und Indien direkt zu überqueren. Als der portugiesische Seefahrer Vasco da Gama als erster Europäer die Südspitze Afrikas umsegelte und im Jahr 1498 an der Küste Kenias eintraf, fand er dort Siedlungen von Swahili-Händlern vor. Er warb einen Lotsen an und ließ sich von ihm auf der direkten Route nach Indien leiten.
Ein ebenso reger Seehandel herrschte indessen zwischen Indien und Indonesien im Osten. Mag sein, daß die austronesischen Besiedler Madagaskars auf jener östlichen Handelsroute nach Indien gelangten, dann auf die westliche Route einschwenkten und nach Ostafrika weiterfuhren, um sich dort mit Afrikanern zu vereinen und Madagaskar zu entdecken. Jene Vereinigung von Austronesiern und Ostafrikanern lebt heute in Madagaskars austronesischer Sprache fort, die Lehnwörter aus Bantu-Sprachen von der Küste Kenias enthält. Umgekehrt finden sich jedoch keine austronesischen Lehnwörter in kenianischen Sprachen, und auch sonst sind die Spuren der Austronesier in Ostafrika sehr spärlich: Sie bestehen hauptsächlich aus Musikinstrumenten von möglicherweise indonesischem Ursprung (Xylophone und Zithern) und natürlich jenen austronesischen Kulturgewächsen, die für die afrikanische Landwirtschaft so große Bedeutung erlangen sollten. Man fragt sich daher, ob die Austronesier, anstatt die leichtere Route nach Madagaskar über Indien und Ostafrika einzuschlagen, vielleicht (auch wenn es unglaublich erscheinen mag) schnurstracks über den Indischen Ozean segelten, Madagaskar entdeckten und erst später auch die
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