Arm und Reich
Schnalzlauten.) Alle heutigen Khoisan-Sprachen sind auf das südliche Afrika beschränkt, mit zwei Ausnahmen, bei denen es sich um sehr typische, mit Schnalzlauten gespickte Khoisan-Sprachen mit der Bezeichnung Hadza und Sandawe handelt. Beide werden in Tansania gesprochen, fast 2000 Meilen vom nächstgelegenen Verbreitungsgebiet einer Khoisan-Sprache im Süden Afrikas entfernt.
Auch Xhosa und einige andere Niger-Kongo-Sprachen des südlichen Afrika sind voller Schnalzlaute. Noch unerwarteter begegnen uns Schnalzlaute und Khoisan-Wörter in zwei afroasiatischen Sprachen, die von Schwarzen in Kenia gesprochen werden, also noch weiter vom heutigen Lebensraum der Khoisan-Völker entfernt als Hadza und Sandawe in Tansania. Dies alles deutet darauf hin, daß sich das Verbreitungsgebiet der Khoisan-Sprachen und -Völker vom südlichen Afrika einst viel weiter nach Norden erstreckte als heute, bis es, ähnlich wie die Heimat der Pygmäen, von schwarzen Völkern »überflutet« wurde, so daß nur sprachliche Relikte übrigblieben. Diese Erkenntnis, abgeleitet aus linguistischen Indizien, ist von großer Bedeutung, und man hätte sie wohl kaum durch anatomische Untersuchungen an heutigen Völkern gewinnen können.
Den bemerkenswertesten Beitrag der Linguistik habe ich jedoch noch gar nicht erwähnt. Abbildung 18.2 ist zu entnehmen, daß die Niger-Kongo-Sprachfamilie in ganz Westafrika und im größten Teil Afrikas südlich des Äquators verbreitet ist, so daß auf den ersten Blick nicht zu erkennen ist, wo sie innerhalb dieses riesigen Gebiets ursprünglich beheimatet war. Greenberg erkannte jedoch, daß sämtliche Niger-Kongo-Sprachen Afrikas südlich des Äquators zu einer einzigen Untergruppe namens Bantu gehören. Sie umfaßt nahezu die Hälfte der 1032 Niger-Kongo-Sprachen und über die Hälfte der Niger-Kongo-Sprecher (an die 200 Millionen Menschen). Diese 500 Bantu-Sprachen ähneln einander jedoch so stark, daß man sie auch schon als 500 Dialekte einer einzigen Sprache beschrieben hat.
Zusammen bilden die Bantu-Sprachen nur einen untergeordneten Zweig der Niger-Kongo-Sprachfamilie. Die meisten der 176 anderen Untergruppen drängen sich in Westafrika, also auf einem Bruchteil des gesamten Verbreitungsgebiets der Niger-Kongo-Sprachen. Die typisch sten Bantu-Sprachen und jene anderen Niger-Kongo-Sprachen, die mit den Bantu-Sprachen am engsten verwandt sind, konzentrieren sich auffällig in einem winzigen Gebiet in Kamerun und im angrenzenden Osten Nigerias. Offensichtlich entstand die Niger-Kongo-Sprachfamilie in Westafrika und der Bantu-Zweig am östlichen Rand dieses Raumes, in Kamerun und Nigeria; von dort aus eroberten die Bantu-Sprachen den größten Teil Afrikas südlich des Äquators. Diese Expansion muß so weit zurückliegen, daß das Ur-Bantu genügend Zeit hatte, um 500 Ableger zu bilden; sie kann andererseits noch nicht allzu lange her sein, da sich die aus dem Ur-Bantu hervorgegangenen Sprachen immer noch recht stark ähneln. Da alle anderen Niger-Kongo-Sprecher schwarz sind wie die Bantu selbst, hätten wir aus Erkenntnissen der physischen Anthropologie allein nicht darauf schließen können, wer in welche Richtung wanderte.
Ich will diese Art der linguistischen Argumentation einmal am Beispiel des geographischen Ursprungs der englischen Sprache verdeutlichen. Heute leben mit Abstand die meisten Menschen, deren Muttersprache Englisch ist, in Nordamerika; andere finden wir über den Globus verstreut in Großbritannien, Australien und anderen Ländern. In jedem dieser Länder werden eigene Dialekte des Englischen gesprochen. Besäßen wir keine weiteren Kenntnisse über die Geschichte und die Verbreitungsgebiete von Sprachen, so hätten wir vielleicht darauf getippt, daß Englisch einst in Nordamerika entstand und später von Kolonisten nach Großbritannien und Australien gebracht wurde.
Nun ist es aber so, daß die vielen englischen Dialekte nur einen einzigen Zweig der germanischen Sprachfamilie bilden. Alle anderen Untergruppen – die skandinavischen Sprachen, Deutsch und Niederländisch – drängen sich auf engem Raum im Nordwesten Europas. Insbesondere Friesisch, die mit dem Englischen am engsten verwandte germanische Sprache, wird nur in einem kleinen Küstengebiet Hollands und Norddeutschlands gesprochen. Aus diesem Sachverhalt würde ein Linguist sofort den Schluß ziehen, daß die englische Sprache im Nordwesten Europas entstand
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