Arm und Reich
jedem Kontinent beschränkte sich die Domestikation von Pflanzen und Tieren auf einige wenige, besonders begünstigte Regionen, die nur einen Bruchteil der Gesamtfläche ausmachten. Auch im Bereich technischer und politischer Innovationen kam es häufiger zur Übernahme von Errungenschaften anderer Gesellschaften als zu Neuerfindungen. Diffusion und Migration innerhalb eines Kontinents leisteten somit wichtige Beiträge zur Entwicklung der dortigen Gesellschaften, die, bedingt durch Vorgänge, wie sie die sogenannten Musketenkriege der neuseeländischen Maori in so einfacher Form veranschaulichen, auf lange Sicht meist einen ähnlichen Werdegang erlebten (sofern die jeweiligen Umweltbedingungen dies zuließen). Gesellschaften, die ins Hintertreffen gerieten, machten entweder den Rückstand wett oder wurden (wenn sie das nicht schafften) von konkurrierenden Gesellschaften verdrängt.
Als zweite Gruppe von Faktoren möchte ich deshalb jene anführen, die einen Einfluß auf das von Kontinent zu Kontinent sehr unterschiedliche Tempo von Diffusion und Migration haben. Am schnellsten verliefen diese Prozesse in Eurasien, bedingt durch die vorherrschende Ost-West-Achse und die relativ geringen ökologischen und geographischen Barrieren. Für die Ausbreitung von Kulturpflanzen und Haustieren, die in hohem Maße klima- und somit breitenabhängig sind, ist das unmittelbar einsichtig. Das gleiche gilt aber auch für die Ausbreitung technischer Neuerungen, und zwar insofern, als sie auf eine bestimmte Umwelt zugeschnitten sind. In Afrika und besonders in Amerika verlief die Diffusion wegen der dominierenden Nord-Süd-Achse und der hohen geographischen und ökologischen Hürden langsamer. Erschwert war die Ausbreitung auch in Neuguinea, dessen zerklüftete Landschaft nebst der langen, geschlossenen Gebirgskette größere Fortschritte in Richtung auf eine politische und sprachliche Vereinigung verhinderte.
Mit der zweiten Gruppe von Faktoren, in deren »Zuständigkeit« die Diffusion innerhalb der Kontinente fällt, ist eine dritte verwandt, deren Faktoren die Diffusion zwischen Kontinenten beeinflussen, die ja ebenfalls zur Entstehung eines Vorrats an domestizierten Pflanzen und Tieren sowie technischen Errungenschaften beitragen kann. Von der interkontinentalen Diffusion profitierten die einzelnen Kontinente je nach geographischer Lage in sehr unterschiedlichem Maße. Am mühelosesten fanden Neuerungen innerhalb der letzten 6000 Jahre den Weg von Eurasien nach Afrika südlich der Sahara, wo die meisten Vieharten eurasischen Ursprungs sind. Keinen Beitrag leistete die interhemisphärische Diffusion indessen zur Entstehung der indianischen Hochkulturen in Amerika, das von Eurasien auf Äquatorhöhe durch breite Ozeane und im hohen Norden durch geographische Hindernisse und ein unwirtliches, nur für Jäger und Sammler geeignetes Klima getrennt war. Das Australien der Aborigines, jenseits der Gewässer des indonesischen Archipels gelegen, erhielt aus Eurasien erwiesenermaßen nur den Dingo.
Die vierte und letzte Faktorengruppe beinhaltet Unterschiede in der Fläche und Bevölkerungsgröße der Kontinente. Mehr Land und mehr Bewohner bedeuten auch mehr potentielle Erfinder, mehr konkurrierende Gesellschaften, mehr Innovationen, die übernommen werden können – und mehr Druck auf einzelne Gesellschaften, sich Neuerungen zu eigen zu machen, um nicht von Rivalen hinweggefegt zu werden. Das letztere Schicksal ereilte die afrikanischen Pygmäen und zahlreiche andere Jäger- und Sammlerpopulationen, die Landwirtschaft treibenden Völkern weichen mußten. Umgekehrt widerfuhr es auch den störrisch konservativen grönländischen Wikingern, an deren Stelle eskimoische Jäger und Sammler traten, deren Methoden zur Nahrungsgewinnung unter den Verhältnissen Grönlands der Wikinger-Landwirtschaft haushoch überlegen waren. Unter den Landmassen unseres Planeten hatte Eurasien die größte Fläche und die größte Zahl konkurrierender Gesellschaften, während Australien, Neuguinea und insbesondere Tasmanien am kärgsten ausgestattet waren. Nordund Südamerika waren trotz ihrer großen Gesamtfläche durch geographische und ökologische Hindernisse so zersplittert, daß der Doppelkontinent im Grunde mehreren kleinen Kontinenten mit spärlichen Verbindungen untereinander glich.
Diese vier Gruppen von Faktoren stehen für große Umweltdifferenzen zwischen den Kontinenten, die
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