Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Arm und Reich

Arm und Reich

Titel: Arm und Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
Vom Netzwerk:
Versalzung der Böden führte. Diese Entwicklun­gen, die in der Jungsteinzeit einsetzten, hielten bis in die jüngere Vergangenheit an. So wurden die letzten Wäl­der in der Nähe der alten nabatäischen Hauptstadt Petra im heutigen Jordanien durch osmanische Türken beim Bau der Hejaz-Eisenbahn kurz vor dem Ersten Welt­krieg gerodet.
    Die Gesellschaften Vorderasiens und des östlichen Mittelmeerraums hatten somit das Mißgeschick, in ei­ner ökologisch besonders empfindlichen Region behei­matet zu sein. Indem sie die eigene Ressourcenbasis zer­störten, begingen sie ökologischen Selbstmord. So verla­gerte sich die Macht immer weiter nach Westen, während die Gesellschaften des östlichen Mittelmeerraums, an­gefangen mit den ältesten Kulturen im Osten (im Be­reich des Fruchtbaren Halbmonds), eine nach der ande­ren die eigene Existenz untergruben. Nord- und West­europa blieb dieses Schicksal erspart, aber nicht etwa weil seine Bewohner ein klügeres Verhalten an den Tag legten, sondern weil sie das Glück hatten, in einer weni­ger empfindlichen, niederschlagsreicheren Umwelt mit rasch nachwachsender Vegetation zu leben. Weite Teile Nord- und Westeuropas ermöglichen noch heute, 7000 Jahre nach der Ankunft von Ackerbau und Viehzucht, eine intensive Bodenbewirtschaftung. Europa empfing Anbaupflanzen, Haustiere, Technik und Schrift aus dem fruchtbaren Schoß Vorderasiens, das sich in der Folge als wichtiges Zentrum von Macht und Innovation nach und nach selbst zerstörte.
    Auf diese Weise verlor Vorderasien seinen enormen Vorsprung, den es Europa gegenüber anfangs besaß. Wa­rum aber erging es China genauso? Daß China ins Hin­tertreffen geriet, verwundert zunächst, besitzt es doch eine Reihe unbestreitbarer Vorteile: die Entstehung der Landwirtschaft fast so früh wie in Vorderasien; eine im­mense ökologische Vielfalt zwischen Nord- und Südchi­na, zwischen Pazifikküste und Himalaja, die zur Ent­stehung eines breiten Fächers von Anbaupflanzen, Tie­ren und Technologien führte; ein großes, von der Natur reich ausgestattetes Territorium, das dem größten Volk der Erde als Ernährungsgrundlage dient; und schließ­lich eine im Vergleich zu Vorderasien niederschlagsrei­chere, ökologisch weniger empfindliche Umwelt, die noch heute, nach fast 10 000 Jahren, eine ertragreiche Intensivlandwirtschaft ermöglicht (wenngleich Chinas Umweltpro bleme in letzter Zeit zunehmen und schwer­wiegender sind als die Westeuropas).
    Diese Vorteile und der zeitliche Vorsprung führten dazu, daß China im Mittelalter Vorreiter der techni­schen Entwicklung war. Zu den vielen Erfindungen chi­nesischen Ursprungs zählen beispielsweise Gußeisen, Kompaß, Schießpulver, Papier, Drucktechniken und viele andere, die schon erwähnt wurden. Auch als po­litisches Machtzentrum, dessen Flotten die Meere be­herrschten, war China unangefochten. Anfang des 15. Jahrhunderts entsandte es Schatzflotten, bestehend aus Hunderten von Schiffen, die bis zu 120 Meter lang waren und deren Besatzungen insgesamt bis zu 28 000 Mann zählten, über den Indischen Ozean bis an die Ostküste Afrikas, Jahrzehnte bevor Kolumbus mit seinen drei ver­gleichsweise bescheidenen Schiffen den eher schmalen Atlantik überquerte und auf Amerika stieß. Warum um­fuhren die chinesischen Schiffe nicht Afrikas Südspitze nach Westen und kolonisierten Europa, bevor Vasco da Gama mit seiner winzigen Flotte in entgegengesetzter Richtung um das Kap der Guten Hoffnung segelte und damit das Startsignal für die Kolonisierung Ostasiens durch Europa gab? Und warum überquerten chinesi­sche Schiffe nicht den Pazifik und kolonisierten Ame­rikas Westküste? Kurzum, warum verlor China seinen technischen Vorsprung vor dem lange Zeit so rückstän­digen Europa?
    Einen Anhaltspunkt bei der Suche nach einer Antwort gibt uns das Ende der chinesischen Schatzflotten. Sieben dieser Flotten stachen zwischen 1405 und 1433 n. Chr. in See. Dann wurden sie durch lokale politische Ränke, wie sie überall auf der Welt denkbar sind, gestoppt. Am chinesischen Hof entbrannte ein Machtkampf zwischen zwei Fraktionen, den Eunuchen und ihren Widersachern. Die Kastraten hatten die Entsendung der Flotten betrie­ben und auch die Kapitäne gestellt. Als die andere Frak­tion die Oberhand gewann, wurden in einer Gegenre­aktion keine weiteren Flotten mehr ausgeschickt, später sogar die Werften abgerissen und die Hochseeschifffahrt per Dekret verboten. Diese Episode erinnert an die

Weitere Kostenlose Bücher