Arm und Reich
Versalzung der Böden führte. Diese Entwicklungen, die in der Jungsteinzeit einsetzten, hielten bis in die jüngere Vergangenheit an. So wurden die letzten Wälder in der Nähe der alten nabatäischen Hauptstadt Petra im heutigen Jordanien durch osmanische Türken beim Bau der Hejaz-Eisenbahn kurz vor dem Ersten Weltkrieg gerodet.
Die Gesellschaften Vorderasiens und des östlichen Mittelmeerraums hatten somit das Mißgeschick, in einer ökologisch besonders empfindlichen Region beheimatet zu sein. Indem sie die eigene Ressourcenbasis zerstörten, begingen sie ökologischen Selbstmord. So verlagerte sich die Macht immer weiter nach Westen, während die Gesellschaften des östlichen Mittelmeerraums, angefangen mit den ältesten Kulturen im Osten (im Bereich des Fruchtbaren Halbmonds), eine nach der anderen die eigene Existenz untergruben. Nord- und Westeuropa blieb dieses Schicksal erspart, aber nicht etwa weil seine Bewohner ein klügeres Verhalten an den Tag legten, sondern weil sie das Glück hatten, in einer weniger empfindlichen, niederschlagsreicheren Umwelt mit rasch nachwachsender Vegetation zu leben. Weite Teile Nord- und Westeuropas ermöglichen noch heute, 7000 Jahre nach der Ankunft von Ackerbau und Viehzucht, eine intensive Bodenbewirtschaftung. Europa empfing Anbaupflanzen, Haustiere, Technik und Schrift aus dem fruchtbaren Schoß Vorderasiens, das sich in der Folge als wichtiges Zentrum von Macht und Innovation nach und nach selbst zerstörte.
Auf diese Weise verlor Vorderasien seinen enormen Vorsprung, den es Europa gegenüber anfangs besaß. Warum aber erging es China genauso? Daß China ins Hintertreffen geriet, verwundert zunächst, besitzt es doch eine Reihe unbestreitbarer Vorteile: die Entstehung der Landwirtschaft fast so früh wie in Vorderasien; eine immense ökologische Vielfalt zwischen Nord- und Südchina, zwischen Pazifikküste und Himalaja, die zur Entstehung eines breiten Fächers von Anbaupflanzen, Tieren und Technologien führte; ein großes, von der Natur reich ausgestattetes Territorium, das dem größten Volk der Erde als Ernährungsgrundlage dient; und schließlich eine im Vergleich zu Vorderasien niederschlagsreichere, ökologisch weniger empfindliche Umwelt, die noch heute, nach fast 10 000 Jahren, eine ertragreiche Intensivlandwirtschaft ermöglicht (wenngleich Chinas Umweltpro bleme in letzter Zeit zunehmen und schwerwiegender sind als die Westeuropas).
Diese Vorteile und der zeitliche Vorsprung führten dazu, daß China im Mittelalter Vorreiter der technischen Entwicklung war. Zu den vielen Erfindungen chinesischen Ursprungs zählen beispielsweise Gußeisen, Kompaß, Schießpulver, Papier, Drucktechniken und viele andere, die schon erwähnt wurden. Auch als politisches Machtzentrum, dessen Flotten die Meere beherrschten, war China unangefochten. Anfang des 15. Jahrhunderts entsandte es Schatzflotten, bestehend aus Hunderten von Schiffen, die bis zu 120 Meter lang waren und deren Besatzungen insgesamt bis zu 28 000 Mann zählten, über den Indischen Ozean bis an die Ostküste Afrikas, Jahrzehnte bevor Kolumbus mit seinen drei vergleichsweise bescheidenen Schiffen den eher schmalen Atlantik überquerte und auf Amerika stieß. Warum umfuhren die chinesischen Schiffe nicht Afrikas Südspitze nach Westen und kolonisierten Europa, bevor Vasco da Gama mit seiner winzigen Flotte in entgegengesetzter Richtung um das Kap der Guten Hoffnung segelte und damit das Startsignal für die Kolonisierung Ostasiens durch Europa gab? Und warum überquerten chinesische Schiffe nicht den Pazifik und kolonisierten Amerikas Westküste? Kurzum, warum verlor China seinen technischen Vorsprung vor dem lange Zeit so rückständigen Europa?
Einen Anhaltspunkt bei der Suche nach einer Antwort gibt uns das Ende der chinesischen Schatzflotten. Sieben dieser Flotten stachen zwischen 1405 und 1433 n. Chr. in See. Dann wurden sie durch lokale politische Ränke, wie sie überall auf der Welt denkbar sind, gestoppt. Am chinesischen Hof entbrannte ein Machtkampf zwischen zwei Fraktionen, den Eunuchen und ihren Widersachern. Die Kastraten hatten die Entsendung der Flotten betrieben und auch die Kapitäne gestellt. Als die andere Fraktion die Oberhand gewann, wurden in einer Gegenreaktion keine weiteren Flotten mehr ausgeschickt, später sogar die Werften abgerissen und die Hochseeschifffahrt per Dekret verboten. Diese Episode erinnert an die
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